Narrenturm - Roman
wenn ich sie nicht mitgenommen hätt’.«
Die moosbewachsenen Balken erzitterten unter herannahenden Schritten.
»Habt Ihr Verdruss?«, fragte einer der drei Männer, die die Brücke betreten hatten. »Braucht Ihr Hilfe?«
»Es täte Not«, bekannte Reynevan, obwohl die nichtswürdigen Gesichter und die flinken Augen der bereitwilligen Helfer ihm nicht nur nicht sonderlich, sondern überhaupt nicht gefielen – was sich denn auch gleich darauf als richtig erweisen sollte. Einen Augenblick später stand der Wagen, von kräftigen Fäusten geschoben, auf der Wiese hinter der Brücke.
»So!«, sagte der größte der drei Kerle, dem Haar und Bart wild um den Kopf standen, und fuchtelte mit einem Stock. »Die Arbeit ist getan, jetzt geht es ans Bezahlen. Spann das Pferd aus, Jude, zieh den Fuchspelz aus und gib deinen Beutel her. Du, Herrlein, wirf dein Wams her, und spring aus deinen Stiefeln. Und du, Süße, ziehst gleich alles aus, du zahlst anders, nämlich nackt!«
Seine Spießgesellen lachten meckernd und ließen dabei ihre verfaulten Zähne sehen. Reynevan bückte sich und hob den Pfahl auf, mit dem er den Wagen angehoben hatte.
»Guckt doch«, der Bärtige wies mit dem Stock auf ihn, »wie kampflustig unser Herrlein ist. Das hat er in seinem jungen Leben noch nicht gelernt, wenn es heißt Stiefel hergeben, dann muss man sie hergeben. Denn barfuß lässt es sich wohl gehen, aber auf gebrochenen Knochen nicht. Heda! Haut ihn!«
Die Kerle wichen geschickt dem merkwürdige Pfeiftöne verursachenden Gefuchtel Reynevans aus, einer fiel ihn von hinten an und versetzte ihm gekonnt einen Tritt in die Kniekehlen, der den Jungen zu Boden warf. Dann aber heulte der Angreifer auf und drehte sich im Kreise, wobei er versuchte, seine Augen vor den Fingernägeln Dorothea Fabers zu schützen, die ihm auf den Rücken gesprungen war. Reynevan bekam einen Stockschlag auf die Schulter verabreicht, duckte sich unter Fußtritten und Hieben und sah, wie einer der Kerle den Juden, der dazwischengehen wollte, mit einem Faustschlag niederstreckte. Und dann erblickte er den Teufel.
Die Räuber fingen schrecklich an zu schreien.
Das, was da über sie gekommen war, war natürlich kein Teufel. Es war ein riesiger, pechschwarzer Hund, eine Dogge, die ein Halsband mit Stacheln umhatte. Das Tier war wie ein schwarzer Blitz unter den Räubern erschienen, attackierte sie aber nicht wie ein Hund, sondern wie ein Wolf. Es schlug seine Zähne in sie und ließ nur von seinem Opfer ab, um sich sofort auf das nächste zu stürzen und es zu beißen. In die Waden, in die Schenkel, in den Schritt. Und wenn sie stürzten, in die Hände und ins Gesicht. Die anfangs gellenden Schreie der Gebissenen wurden auf makabere Weise immer schwächer und leiser. So, dass einem die Haare zu Berge standen.
Ein scharf tönender Pfiff erklang. Die schwarze Dogge ließ vom einen Moment zum andern von den Räubern ab und saß reglos mit aufgerichteten Ohren da. Wie eine Anthrazitfigur.
Ein Reiter erschien auf der Brücke. Er trug einen kurzengrauen Mantel, den eine silberne Spange schloss, ein enges Wams und eine Fellkappe, von der ein langes Stoffband bis auf die Schulter herunterhing.
»Wenn die Sonne genau über dem Wipfel dieser Fichte steht«, sagte der Ankömmling laut und richtete dabei seine keineswegs kleine Gestalt im Sattel seines dunklen Hengstes zu ihrer vollen Größe auf, »hetze ich euch Beelzebub auf den Hals, ihr Halunken. So viel Zeit gebe ich euch, ihr Taugenichtse. Und da Beelzebub verdammt schnell ist, gebe ich euch den guten Rat: Lauft! Und legt ja keine Pause ein!«
Die Halunken ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie verschwanden im Wald, hinkend, stöhnend und warfen von Zeit zu Zeit einen angstvollen Blick hinter sich. Als wüsste Beelzebub, womit er sie noch ärger in Schrecken versetzen könnte, würdigte er sie keines Blickes, sondern schaute auf den Baumwipfel und die Sonne.
Der Reiter trieb seinen Hengst ein wenig an. Er ritt heran und blickte vom Pferd herab auf den Juden, Dorothea Faber und Reynevan, der gerade aufstand, seine Rippen betastete und sich das Blut von der Nase wischte. Ihn betrachtete, was dem Jungen natürlich nicht entging, der Reiter besonders aufmerksam.
»Tja, ja«, sagte er schließlich. »Eine klassische Situation. Wie im Märchen. Ein Sumpf, eine Brücke, ein Rad und Probleme. Da kommt Hilfe wie gerufen. Ihr habt mich doch nicht etwa herbeigerufen? Und habt jetzt vielleicht Angst, dass ich euch zwinge,
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