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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ein schweres, den Boden erschütterndes Klopfen   – das Hämmern der Stampfer, die das Gewebe in den Stampfmühlen bearbeiteten. Peterlins Walkmühle war eine moderne Mühle, die neben ein paar traditonellen Stampfern wassergetriebene Hämmer besaß, die schneller und gleichmäßiger walkten. Und lauter.
    Unten am Bächlein, hinter weiteren Trockengestellen und einer Reihe von Farbmulden erblickte er die Umfriedung, die Schuppen und das Dach der Walkmühle. Dort standen wie gewöhnlich an die zwanzig Fuhrwerke verschiedener Größe und Bauart. Reynevan wusste, dass es zum größten Teil Wagen von Zulieferern waren   – Peterlin bezog einen Großteil seiner Pottasche aus Polen   –, aber auch Wagen von Webern, die ihre Erzeugnisse zum Walken brachten. Der Ruf von Powojowitz hatte bewirkt, dass Weber aus der gesamten Umgebung hierher kamen, aus Nimptsch, Münsterberg, Strehlen, Grottkau und sogar aus Frankenstein. Er sah, wie sich die Webermeister um die Walkmühle drängten und die Arbeit überwachten, er hörte ihre lauten Rufe, die selbst den Krach der Maschinen noch übertönten. Wie üblich stritten sie sich mit den Walkern herum, wie die Gewebe in den Stampfmühlen zu falten und zu wenden seien. Er gewahrte unter ihnen einige Mönche in weißen Habiten mit schwarzen Skapulieren, auch das war nichts Neues, denn das Zisterzienserkloster von Heinrichau stellte eine beträchtliche Anzahl an Stoffen her und war Dauerkunde bei Peterlin.
    Wen Reynevan aber nicht sah, war eben Peterlin. Seinen Bruder, der in Powojowitz sonst allgegenwärtig war, weil er für gewöhnlich das gesamte Terrain kontrollierte. Zu Pferde, um sich von den anderen abzuheben. Peter von Bielau war schließlich ein Ritter.
    Noch verwunderlicher war allerdings, dass nirgends diehochgewachsene, dürre Gestalt Nicodemus Verbrüggens, eines Flamen aus Gent, zu sehen war, des Walker- und Färbermeisters der Mühle.
    Der Warnungen des Kanonikus eingedenk, ritt Reynevan ohne Aufsehen im Schutz der Wagen der nacheinander eintreffenden Kunden in die Umfriedung. Er zog den Hut tiefer ins Gesicht und beugte sich im Sattel vor. Unbemerkt gelangte er so vor Peterlins Haus.
    Das sonst ständig von Lärm und Leuten erfüllte Gebäude schien jetzt völlig leer zu sein. Niemand reagierte auf sein Rufen, keinen kümmerte sein Türenknallen. Keine Menschenseele war in dem langen Flur, keine im Kontor. Er betrat die Stube.
    Auf dem Fußboden vor dem offenen Kamin saß Nicodemus Verbrüggen, grau, die Haare kurz wie ein Bauer, aber gekleidet wie ein Herr. Im Kamin prasselte das Feuer. Der Flame zerfetzte Papierseiten und warf sie in die Flammen. Er war schon fast fertig damit. Auf seinen Knien lagen nur noch ein paar Seiten, im Kamin aber verglühte ein ganzer Stoß Papier.
    »Herr Verbrüggen!«
    »Jesus Christus . . .« Der Flame hob den Kopf und warf das nächste Blatt ins Feuer. »Jesus Christus, Junker Reinmar . . . Was für ein Unglück, Junker . . . Was für ein entsetzliches Unglück . . .«
    »Was denn für ein Unglück, Meister? Wo ist mein Bruder? Und was verbrennt Ihr hier?«
    »
Mijnheer
Peter befohlen. Sagen, wenn etwas geschieht, aus Versteck nehmen, verbrennen, schnell. So er sagen: Wenn etwas geschieht, Nicodemus, was Gott verhüten soll, verbrenn es schnell. Und die Walkmühle soll arbeiten. So sagen
Mijnheer
Peter.
En het Woord is vlees geworden . . .
«
    »Herr Verbrüggen . . .«, Reynevan spürte, wie sich, ausgelöst durch das entsetzliche Gefühl der Vorahnung, seine Nackenhaare zu sträuben begannen, »Herr Verbrüggen, redet! Wassind das für Dokumente? Und was für ein Wort ist Fleisch geworden?«
    Der Flame barg den Kopf zwischen den Schultern und warf das letzte Blatt ins Feuer. Reynevan sprang hinzu. Er verbrannte sich die Hand, aber er zog es aus dem Feuer und löschte hin- und herwedelnd die Flammen. Wenigstens teilweise.
    »Redet!«
    »Erschlagen!«, sagte Nicodemus Verbrüggen mit dumpfer Stimme. Reynevan sah eine Träne, die sich zwischen den grauen Bartstoppeln auf der Wange ihren Weg bahnte. »Guter
Mijnheer
Peter lebt nicht. Erschlagen. Ihn ermordet. Junker Reinmar . . . So ein Unglück, Jesus Christus
,
so ein Unglück . . .«
    Die Tür krachte. Der Flame blickte sich um und begriff, dass seine letzten Worte niemand mehr gehört hatte.
     
    Peterlins Antlitz war weiß. Und porös. Wie Käse. Im Mundwinkel waren trotz des Abwischens noch Spuren von geronnenem Blut.
    Der Ältere von Bielau lag auf einer von zwölf brennenden

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