Narrenturm - Roman
lauter. »Wer auch immer diesen Kindern den Vater hingemordethat, er war dir auf der Spur! Du richtest nur Unheil an! Deinem Bruder hast du nur Schande und Vorwürfe eingebracht! Was suchst du hier? Hat dich vielleicht das Erbe hergezogen, du Krähe? Mach dich hinaus! Fort aus meinem Hause!«
Reynevan konnte nur mit Mühe das Zittern seiner Hände verbergen. In seinem Inneren kochte und tobte es vor Wut und Leidenschaft, und das Verlangen, denen von Der entgegenzubrüllen, was er von ihnen hielt und dass sie nur dank der in Peterlins Walkmühle verdienten Gelder die Herren spielen konnten, warf ihn fast um. Aber er beherrschte sich. Peterlin war tot. Er lag ermordet, mit ungarischen Golddukaten auf den Augen, in der Stube seines Hauses, inmitten von blakenden Kerzen auf einer Totenbahre mit rotem Tuch. Peterlin war tot. Es war schändlich, an seiner Leiche zu hadern und zu streiten, allein der Gedanke daran war anmaßend. Reynevan befürchtete außerdem, dass er in Tränen ausbrechen würde, sobald er auch nur den Mund aufmachte.
Wortlos ging er hinaus.
Trauer und Verzweiflung hingen über dem ganzen Hause von Balbinow. Alles war leer und still, das Gesinde hatte sich irgendwo verkrochen, wohl wissend, dass es nicht ratsam war, den Trauernden unter die Augen zu kommen. Nicht einmal die Hunde bellten. Außerdem waren keine zu sehen. Außer . . .
Er wischte sich die immer wieder hervorquellenden Tränen aus den Augen. Die schwarze Dogge, die zwischen Stall und Badehaus saß, war kein Gespenst. Sie dachte nicht daran, zu verschwinden.
Reynevan ging mit schnellen Schritten über den Hof und betrat das Gebäude von der Remise her. Er ging an den Futterraufen der Kühe vorbei – das Gebäude war Kuh- und Schweinestall zugleich – und gelangte zu dem Verschlag für die Pferde. In einer Ecke des Verschlages, in der für gewöhnlich Peterlins Pferd stand, kniete Urban Horn im zerwühlten Stroh und kratzte mit einem Messer den Lehm von der Wand.
»Das, was du suchst, ist nicht hier«, sagte Reynevan und wundertesich über seine Gelassenheit. Horn schien keinesfalls überrascht. Ohne sich zu erheben, sah er ihm in die Augen.
»Das, was du suchst, war in einem anderen Versteck. Aber es ist nicht mehr da, es wurde verbrannt.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich!« Reynevan zog aus der Tasche den halbverkohlten Bogen Papier hervor und warf ihn achtlos zu Boden. Horn erhob sich immer noch nicht.
»Wer hat Peterlin getötet?« Reynevan macht einen Schritt vorwärts. »Kunz Aulock und seine Bande auf Befehl der Sterz’? Haben die auch Herrn Bart von Karzen erschlagen? Was hast du damit zu schaffen, Horn? Wieso bist du hier in Balbinow, kaum einen halben Tag nach meines Bruders Tod? Woher kennst du sein Versteck? Warum suchst du darin nach Dokumenten, die in Powojowitz verbrannt sind? Und was waren das für Dokumente?«
»Verschwinde von hier, Reinmar«, sagte Urban Horn gedehnt. »Verschwinde von hier, wenn dir das Leben lieb ist. Warte damit nicht einmal bis zum Begräbnis deines Bruders.«
»Zuerst beantwortest du mir meine Fragen. Fang mit dem Wichtigsten an: Was hast du mit diesem Mord zu schaffen? Was hast du mit Kunz Aulock zu tun? Versuch nicht, mich anzulügen!«
»Das werde ich nicht«, erwiderte Horn, ohne den Blick zu wenden, »weder lügen noch antworten. Nicht zuletzt zu deinem Besten. Das mag dich verwundern, aber es ist die Wahrheit.«
»Ich zwinge dich, zu antworten«, Reynevan trat einen Schritt nach vorne und zückte seinen Dolch. »Ich zwinge dich, Horn. Wenn es sein muss, mit Gewalt.«
Davon, dass Horn pfiff, zeugte nur die Stellung seiner Lippen, es war kein Ton zu hören. Aber nur Reynevan hatte nichts gehört, denn im nächsten Moment stieß ihn etwas mit schrecklicher Kraft vor die Brust. Er rollte auf den Boden. Von dem Gewicht fast erdrückt, öffnete er die Augen, nur, um dicht vorseiner Nase die beiden weiß blitzenden Zahnreihen der schwarzen Dogge Beelzebub zu erblicken. Der Geifer des Hundes tropfte ihm ins Gesicht, der Gestank verursachte ihm Übelkeit, das bösartige, heisere Gebell hingegen Angst. In seinem Blickfeld erschien Urban Horn, das Gesicht halb hinter dem angekohlten Papier verborgen.
»Du kannst mich zu nichts zwingen, mein Junge«, Horn schob seine Kappe zurecht. »Höre dir aber an, was ich dir aus freien Stücken sagen werde. Ja, sogar aus Freundlichkeit. Beelzebub, nicht fassen!«
Beelzebub fasste nicht. Obwohl ersichtlich war, dass er große Lust dazu
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