Narrenturm - Roman
Kerzen umstellten Bahre mitten im Raum. Auf die Augen hatte man ihm zwei ungarische Golddukaten gelegt, unter dem Kopf lagen frische Fichtenzweige, deren Aroma sich mit dem Duft des schmelzenden Wachses vermischte und den Raum mit dem faden, scheußlichen Friedhofsgeruch des Todes erfüllten. Die Bahre war mit rotem Tuch bedeckt. Mit Schildlaus aus der eigenen Färberei gefärbt, dachte Reynevan verzweifelt und spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen.
»Wie ist . . .«, stieß er aus seiner wie zugeschnürten Kehle hervor, »wie konnte . . . das . . . geschehen?«
Griselda von Der, Peterlins Frau, sah ihn an. Ihr Gesicht war vom Weinen rot und geschwollen, sie drückte ihre beiden weinenden Kinder, Thomas und Sybille, an ihren Rock.
Aber ihr Blick war nicht freundlich, sondern böse. Nicht sonderlich freundlich blickten auch Peterlins Schwiegervaterund Schwager, der alte Walpot von Der und sein vierschrötiger Sohn Christian.
Niemand, weder Griselda noch die Ders, antworteten auf seine Frage. Aber Reynevan dachte nicht daran aufzugeben.
»Was ist geschehen? Sagt mir das vielleicht endlich mal jemand?«
»Irgendwelche Leute haben ihn umgebracht«, stotterte Peterlins Nachbar, Gunther von Bischofsheim.
»Gott«, fügte der Propst von Wammelwitz hinzu, Reynevan hatte seinen Namen vergessen, »Gott wird sie dafür strafen.«
»Mit dem Schwert haben sie ihn durchbohrt«, berichtete Matthias Wirt, ein Pächter aus der Nachbarschaft, krächzend. »Das Pferd ist ohne seinen Reiter zurückgekommen. Genau zur Mittagszeit.«
»Genau zur Mittagszeit«, wiederholte der Pfarrer von Wammelwitz und faltete die Hände. »
Ab incursu et daemonio meridiano libera nos, domine . . .
«
»Das Pferd ist zurückgekommen«, fuhr Wirt, der durch das Gebet etwas aus dem Redefluss herausgekommen war, fort. »Sattel und Schabracke mit Blut beschmiert. Da haben wir angefangen, ihn zu suchen und ihn schließlich gefunden. Im Wald, gleich bei Balbinow . . . Direkt am Wege. Herr Peter muss von Powojowitz her geritten sein. Der ganze Boden war von Hufen wie aufgewühlt, an den Spuren sah man, dass sie ihn zu mehreren angegriffen haben . . .«
»Wer?«
»Man weiß es nicht.« Matthias Wirt zuckte die Achseln. »Räuberpack sicher . . .«
»Räuberpack? Räuber hätten das Pferd nicht mitgenommen? Das kann nicht sein!«
»Wer weiß schon, was da sein kann und was nicht?«, sagte Bischofsheim achselzuckend. »Die Herrn Ders und meine Knechte durchstreifen die Wälder, vielleicht finden sie ja etwas. Und dem Starosten haben wir’s gemeldet. Die Leute des Starosten werden kommen und eine Untersuchung führen,
cui
bono.
Das heißt, wer Grund hatte zu einem Mord und wer einen Nutzen daraus zieht . . .«
»Vielleicht«, sagte Walpot von Der giftig, »vielleicht war das irgendein Wucherer, dem das Wuchergeld nicht gezahlt wurde? Vielleicht ein Färber, der froh war, so seinen Konkurrenten loszuwerden? Vielleicht ein Kunde, der sich um drei schändliche Groschen betrogen glaubte? So ist das, wenn man seine Herkunft vergisst und sich mit dem Pöbel gemeinmacht. Den Kaufmann spielt. Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist. Pfui! Ich habe dich einem Ritter gegeben, Tochter, und jetzt bist du die Witwe eines . . .«
Er schwieg plötzlich, und Reynevan begriff, dass er unter seinem Blick verstummt war. Wut und Verzweiflung rangen heftig miteinander in ihm, wobei einmal das eine, einmal das andere Gefühl die Oberhand gewann. Er beherrschte sich mit einer letzten Willensanstrengung, aber seine Hände zitterten. Seine Stimme auch.
»Habt ihr vielleicht hier in der Nähe vier Berittene gesehen?«, presste er hervor. »Bewaffnet? Ein großer Bärtiger in einer Brigantine . . . Ein kleiner . . . mit Pickeln im Gesicht . . .«
»Die waren da«, sagte der Geistliche plötzlich. »Gestern, in Wammelwitz, in der Nähe der Kirche. Es hatte gerade zum Englischen Gruß geläutet . . . Oh, die sahen aus wie brutale Haudegen . . . Ihrer vier . . . Wahrlich, wie apokalyptische Reiter . . .«
»Ich wusste es!«, schrie Griselda mit heiserer, vom Weinen verzerrter Stimme und warf Reynevan einen wahrhaften Basiliskenblick zu. »Ich wusste es, gleich als ich dich sah, du Unhold, du! Durch dich ist es gekommen! Durch deine Sünden und Untaten!«
»Der Zweitgeborene von Bielau!« Walpot Der betonte spöttisch den Titel. »Auch ein Edelmann. Diesmal einer von Blutegeln und Klistieren.«
»Du Unhold, du Nichtsnutz!«, schrie Griselda immer
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