Narrenturm - Roman
die anderen gebrauchten ihre Peitschen, dabei entstand ein Gewirr, in dem sie sich gegenseitig behinderten und die Pferde zu drängen und zu scheuen begannen. Stork und der mit dem Fluch belegte de Barby sprangen aus den Sätteln und fingen an, den schreienden Alten mit Fäusten zu bearbeiten, als er hinstürzte, traten sie ihn mit Füßen. Der Alte schrie und wimmerte, dass es einen erbarmen konnte.
Reynevan fluchte und schlug mit der Faust auf den Boden. Scharley schaute ihn schief an.
»Nein, Reinmar«, erklärte er mitleidslos. »Daraus wird nichts. Das sind keine französischen Gecken aus Striegau, das sind vier durchtriebene, bis an die Zähne bewaffnete Räuber und Schlächter. Das ist Kunz Aulock, mit dem selbst ich womöglich allein nicht fertig würde. Lass also alle dummen Gedanken und Hoffnungen fahren. Wir sitzen hier wie die Mäuse unter dem Reisigbesen.«
»Und sehen dabei zu, wie sie einen völlig unschuldigen Menschen morden.«
»Richtig«, bestätigte der Demerit und hielt dem Blick stand. »Denn wenn ich wählen soll, so ist mir mein Leben lieber. Außer dass ich Gott meine Seele schulde, schulde ich noch einigen Leuten Geld. Es wäre unethisch und dumm, wenn ich das Wagnis einginge und ihnen damit womöglich die Chance nähme, ihr Geld zurückzubekommen. Außerdem, was reden wir hier. Es ist vorbei.«
»Sie haben genug.«
Tatsächlich verabreichten de Barby und Stork dem Alten zum Abschied noch ein paar Fußtritte, bespuckten ihn, stiegen in die Sättel, und einige Zeit später galoppierten alle vier lärmend und Staub aufwirbelnd Richtung Jauerberg und Schweidnitz.
»Er hat uns nicht verraten.« Reynevan seufzte erleichtert auf. »Sie haben ihn geschlagen und getreten, aber er hat uns nicht verraten. Entgegen all deinem Gespött hat uns das Almosen gerettet, das der Arme empfing. Erbarmen und Großzügigkeit . . .«
»Hätte ihm Kyrieleison, statt ihn mit dem Stock zu traktieren, einen Kreuzer gegeben, hätte uns der Alte beim ersten Atemzug verraten«, meinte Scharley kühl. »Reiten wir weiter. Leider wiederum auf Abwegen. Irgendjemand, wenn ich mich recht entsinne, rühmte sich doch erst vor kurzem, er habe sie abgehängt und all seine Spuren verwischt.«
»Geziemt es sich nicht«, Reynevan überhörte den Spott und sah zu, wie der Alte im Graben seine Kappe suchte, »geziemt es sich nicht, ihm zu danken? Ein Stück Geld draufzulegen? Du verfügst doch über ein paar Groschen, die aus einem Raube stammen, Scharley. Zeig also dein Erbarmen.«
»Ich kann nicht.« Die flaschengrünen Augen des Demeriten blitzten spöttisch. »Eben aus Barmherzigkeit. Ich habe dem Alten ein falsches Geldstück gegeben. Wenn er versucht, es auszugeben, erntet er nur Schläge. Erwischen sie ihn mit ein paar mehr, hängen sie ihn auf. Aus Barmherzigkeit erspare ich ihm also dieses Schicksal. In den Wald, Reinmar, los in den Wald, lass uns keine Zeit verlieren.«
Ein kurzer warmer Regenschauer fiel hernieder, und als er aufhörte, begann der Wald sich in Nebel zu hüllen. Die Vögel sangen nicht mehr. Es war still. Wie in einer Kirche.
»Dein beharrliches Schweigen«, bemerkte Scharley, der neben dem Pferd herging, schließlich, »scheint mir auf etwas hinzudeuten. Auf eine Art Missbilligung. Du erlaubst wohl, dass ich’s errate – es geht um diesen Alten?«
»Genau, es geht um ihn. Du hast dich mies verhalten. Unehrenhaft, gelinde gesagt.«
»Ha! Einer, der Ehefrauen anderer vögelt, fängt an, Moral zu predigen.«
»Vergleiche gefälligst nicht Dinge, die sich nicht vergleichen lassen.«
»Nur dir scheint es so, als ließen sie sich nicht vergleichen. Darüber hinaus, meine deiner Ansicht nach schändliche Tat war bestimmt von der Sorge um dich.«
»Das ist in der Tat schwer zu verstehen.«
»Ich erklär’s dir gelegentlich.« Scharley blieb stehen. »Vorläufig würde ich empfehlen, sich auf wichtigere Dinge zu konzentrieren. Denn ich habe nicht die geringste Ahnung, wo wir sind. Ich habe in diesem hässlichen Nebel die Orientierung verloren.«
Reynevan sah sich um und blickte zum Himmel empor. Die durch den Nebel erschreckend bleich erscheinende Sonnenscheibe, noch vor wenigen Augenblicken sichtbar und den Weg weisend, war verschwunden. Ein dichter Dunst hing so niedrig, dass sogar die Wipfel der höheren Bäume darin verloren gingen. Am Boden lagerte er stellenweise so dicht, dass Farne und Buschwerk wie aus einem milchigen Ozean aufzutauchen schienen.
»Anstatt dich über das Los
Weitere Kostenlose Bücher