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Narrenturm - Roman

Narrenturm - Roman

Titel: Narrenturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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aufgebracht. »Erst jetzt? Jetzt ist keine Zeit dazu!«
    Über den Wald flog mit einem schrillen Pfiff der nächste Schädelkomet, und Reynevan teilte auf der Stelle die Meinung des Demeriten. Sie stiegen über das Knochenfeld. Das Pferd schnaubte, wandte den Kopf und scheute. Reynevan zog es mit größter Mühe weiter. Der Rauchgeruch wurde stärker. Man meinte schon, darin den Duft von Kräutern zu spüren. Und noch von etwas anderem, nicht Greifbarem, Übel erregendem.
    Dann erblickten sie das Feuer.
    Das Feuer brannte in der Nähe eines umgestürzten Baumes, zwischen seinen riesigen Wurzeln. Auf dem Feuer stand ein rußgeschwärzter Kessel, aus dem Dampf quoll. Daneben türmte sich ein Stoß von Schädeln. Auf den Schädeln lag eine schwarze Katze. In typischer katzenhaft träger Pose.
    Reynevan und Scharley standen wie gelähmt da. Sogar das Pferd hatte aufgehört, ängstlich zu schnauben.
    Um das Feuer saßen drei Weiber.
    Zwei von ihnen verhüllte der aus dem Kessel aufsteigende Dampf. Die Dritte, die zur rechten Seite saß, schien ziemlich betagt. Ihre dunklen, aber von der Sonne ausgebleichten, stark von Grau durchzogenen Haare und ihr wettergegerbtes Gesicht konnten täuschen   – die Frau konnte ebenso gut vierzig wie achtzig Jahre auf dem Buckel haben. Sie saß lässig da, wiegte sich und drehte auf unnatürliche Weise den Kopf.
    »Sei gegrüßt«, krächzte sie, worauf sie laut und vernehmlich rülpste, »sei gegrüßt, Than von Glamis.«
    »Hör auf, dummes Zeug zu reden, Jagna«, ermahnte sie die zweite Frau, die in der Mitte saß. »Verdammt, du hast dich schon wieder betrunken.«
    Ein Windstoß drückte Rauch und Dampf nach unten, so dass sie sie jetzt genauer betrachten konnten. Die Frau in der Mitte war groß und ziemlich kräftig gebaut, unter ihrem schwarzen Hut fiel ihr flammend rotes Haar in Locken bis auf die Schultern. Sie hatte hervorstehende, ziemlich rosige Wangenknochen,einen hübschen Mund und sehr helle Augen. Um den Hals war ein Schal aus schmutzig grüner Wolle geschlungen. Aus demselben Material waren ihre Strümpfe gewebt   – die Frau hatte die Beine bequem gespreizt und den Rock lässig geschürzt, was nicht nur ihre Strümpfe und Waden zur Bewunderung freigab, sondern auch viel von dem durchaus bewundernswürdigen Rest.
    Die zur linken Seite sitzende Dritte war die Jüngste, ein junges Mädchen, kaum dem Kindesalter entwachsen. Sie hatte blitzende, tief umrandete Augen und ein schmales Fuchsgesicht mit bleicher, nicht sehr gesunder Haut. Ihre hellen Haare schmückte ein Kranz aus Verbenen und Klee.
    »Na, seht doch mal«, sagte die Rothaarige und kratzte sich oberhalb der grünen Strümpfe am Schenkel. »Erst hatten wir nichts in den Topf zu tun, und jetzt kommt das Fressen von selbst daher.«
    Die dunkelgesichtige Jagna rülpste, die schwarze Katze miaute. Die fiebrigen Augen des jungen Mädchens brannten in bösem Feuer.
    »Wir bitten um Verzeihung, dass wir Euch stören.« Scharley verbeugte sich. Er war blass, aber er hatte sich so ziemlich in der Gewalt. »Wir bitten die edlen gnädigen Frauen um Verzeihung. Lasst Euch nicht stören. Keinerlei Umstände. Wir sind zufällig hier. Keineswegs absichtlich. Und wir gehen auch gleich wieder. Wir sind schon weg. Wenn die gnädigen Frauen erlauben . . .«
    Die Rothaarige nahm einen Schädel vom Stoß, hob ihn hoch empor und skandierte eine Verwünschung. Reynevan meinte, darin chaldäische und aramäische Worte zu erkennen. Der Schädel klapperte mit der Kinnlade, schoss nach oben und flog mit einem Pfiff über die Wipfel der Fichten.
    »Fressen«, wiederholte die Rothaarige unbewegt. »Und dazu noch solches, das sprechen kann. Das gibt uns Gelegenheit, beim Essen Konversation zu machen.«
    Scharley fluchte leise. Die Frau leckte sich unmissverständlichdie Lippen und heftete den Blick auf die beiden. Länger konnte man nicht warten. Reynevan holte tief Atem.
    Mit der Hand berührte er den Scheitel. Das rechte Bein beugte er im Knie, hob es an und kreuzte es nach hinten mit dem linken Bein, mit der linken Hand ergriff er dabei die Schuhspitze. Obwohl er dies erst zweimal gemacht hatte, ging zu seiner Verwunderung alles glatt. Ein Moment der Konzentration und die gemurmelte Beschwörung reichten aus.
    Scharley fluchte erneut. Jagna rülpste. Die Augen der Rothaarigen weiteten sich.
    Reynevan hob sich in derselben Pose, so wie er da stand, langsam vom Boden ab. Nicht hoch, nur etwa drei, vier Spannen. Und nicht für lange. Aber es

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