Narrenwinter
Nützling, nicht als Mitbewohner, erst recht nicht als Mitspieler. Niemand scheucht mich weg, aber keiner will mich haben, wie ich zu sagen pflege.“
„Gut, oder nicht gut. Aber deshalb dieser lebensgefährliche Vogeltanz?“
„Doch eine hübsche Art meinen närrischen Gastgebern zu zeigen, wie das ist, wenn sich ihr komischer Vogel den Hals bricht und keine Eier mehr legt, schon gar keine goldenen.“
„Kindischer Trotz, mein Guter. Und am allgemeinen Erschrecken hätten Sie sich als totes Tier erst recht nicht mehr weiden können.“
„Ja, schade! Das habe ich tatsächlich nicht bedacht. Aber Sie werden von mir doch nicht verlangen, in diesen wirren Tagen auf eine vernünftige Idee zu kommen?“
„Ich verlange gar nichts. Wie wird es weitergehen?“
„Weiß nicht. Ich bin ein leidenschaftlicher Hasardeur, Herr Käfer. Aber ich will in Zukunft versuchen, Sie und andere, die ich schätze, nicht damit zu bedrängen. Ein Wort?“
„Ein Wort.“
Käfer, wieder allein, wandte sich dem Hauptplatz zu. Der kalte Wind hatte nun doch die meisten Narren und Schaulustigen vertrieben. Am Rand des Kurparks war eine Holzhütte errichtet worden, in der Lupitscher angeboten wurde. Grimmiges Gelächter und aufsässige Juchzer machten es ratsam, vorbeizugehen. Im Musikpavillon, den Sommer über therapeutisch wirksamen Walzerklängen gewidmet, hatte während der Faschingstage eine betäubend laut beschallte 24-Stunden-Bar geöffnet. Käfer folgte der ruhigeren Ischler Straße, bis er aus der Konditorei Strenberger Musikfetzen und Gelächter hörte. Er trat ein. Der vordere Raum, in dem eine mit Süßigkeiten aller Art gefüllte Vitrine stand, war menschenleer. Doch als Käfer durch die nächste Tür gehen wollte, stockte sein Schritt. Der Saal war überfüllt, Tabakrauch und Alkoholdunst lagen in der Luft, ein Klarinetten-Trio versuchte animiert, doch ohne besonderen Ehrgeiz eine gemeinsame Melodie zu finden, und auf einem der Tische tanzte Sabine. Sie hatte sich ihrer Winterkleidung und der Schuhe entledigt, ihr Gesicht war gerötet, und zwischen den Zähnen hielt sie eine Narzisse aus Plastik fest. Zu ihren Füßen lagerten Mammutjäger und Krankenschwestern, paschten, jauchzten und forderten Sabine zu immer wilderen Bewegungen heraus. Käfer schaute eine Weile verblüfft und auch fasziniert zu. Dann aber fühlte er ein schlimmes Ende nahen. Er formte die Hände zum Trichter. „Sabine!“
Die Tänzerin schien nichts zu hören, wohl aber war eine besonders stämmige Krankenschwester aufmerksam geworden. Sie nahm den Mammutknochen, ging eilig auf Käfer zu und versperrte ihm den Weg. Inzwischen war Sabine bereit, immer drängender klingenden Zurufen nachzukommen und begann, ihre Bluse zu öffnen.
„Ja verdammt noch einmal, was zu weit geht, geht zu weit!“
Käfer stieß die Krankenschwester wütend zur Seite, entriss ihr den Knochen und bahnte sich den Weg durch die Menge. Die Maschkera waren aufgestanden, schauten böse drein und rieben sich erwartungsvoll die Hände. Käfer blieb stehen. „Sehr stark, die Herrschaften, wie? Und so tapfer: zehn gegen einen.“ Zögernd bildeten die Maschkera eine Gasse. Käfer ging zum Tisch, stieg auf einen Sessel und barg Sabine. Er suchte ihr Gewand zusammen, nahm ihre Fototasche und ergriff ohne Hast die Flucht.
13
Die frische Luft tat Sabine gar nicht gut. Sie taumelte. „Lass mich los, Daniel, mir wird übel.“
Er schob sie sanft aus dem Licht einer Straßenlampe, trat hinter seine Freundin, wartete geduldig, wischte ihren Mund ab und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Wir sind gleich beim Auto.“
„Ja, und wohin dann?“
„Nach Hause, Sabine. Gleich geht’s dir besser.“
Beim Stoffen angekommen, sah Käfer, dass alle Fenster dunkel waren. Er sperrte auf, machte Licht, schob Sabine vorsichtig die steile Holztreppe hinauf, weiter ins Zimmer, und legte sie dort sachte aufs Bett. „Na, du?“
Sabine starrte ins Leere, dann fing sie an zu weinen, warf sich auf den Bauch und schlug mit den Fäusten auf die Bettdecke. Als Käfer beruhigend ihren Rücken streicheln wollte, stemmte sie sich mit einer wütenden Bewegung hoch, kam auf der Bettkante zu sitzen, stöhnte und griff nach ihrer Stirn.
Käfer ging ins Badezimmer und hielt ein Handtuch in den kalten Wasserstrahl. „Hier, Liebes, fürs Gesicht, das hilft. Sollen wir versuchen, ob du ein Kopfwehmittel unten behältst? Aber ja, mehr als schief kann’s nicht gehen …, die haben dich ganz schön zugerichtet,
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