Narrenwinter
schlimm. Und jetzt schlaf schön.“
„Schön? So, wie ich aussehe?“
„Ja, schön.“
Es war noch nicht richtig hell, als Daniel Käfer aufwachte. Der Platz neben ihm war leer. Er hörte Geräusche aus dem Bad. Als Sabine ins Zimmer kam, trug sie Jeans und Pullover, war geschminkt und frisiert. „Kannst du eine entfernte Ähnlichkeit mit mir entdecken, Daniel?“
„Aber ja!“
„Das nenne ich aufrichtige Bewunderung. Schnell aus den Federn mit dir. Ich will noch vor dem Frühstück hinaus in diesen herrlich frischen Schnee. Und um acht sollten wir ja vor der
Traube
sein – die Trommelweiber!“
„Wir, Sabine? Hast du wir gesagt?“
„Ja und noch einmal ja. Es war klug von dir, dass du es aufgegeben hat, mich überreden zu wollen. Im eigenen Saft schmort es sich ja doch am besten. Ich muss da durch, Daniel, ich will da durch. Und jetzt komm!“
Maria Schlömmer warf den beiden einen schrägen Blick zu, als sie in die Küche kamen.
„Was ist denn mit euch los? Unter eine Dachlawine gekommen?“
Käfer klopfte Schneereste von Sabines Parka. „Eine Schneeballschlacht konnte erst im Nahkampf entschieden werden.“
„Und wer hat gewonnen?“
Sabine Kremser küsste Daniel Käfers Nasenspitze. „Wir!“
„So was Kitschiges. Der echte Daseinskampf schaut anders aus, was, Daniel?“
„Heute Nacht hat sich meine diesbezügliche Vorstellungskraft tatsächlich um einiges erweitert, Maria.“
„So? Und getratscht hast du natürlich auch.“
„Noch nicht.“
„Dann untersteh dich! Lass die Sabine in Frieden mit deiner schmutzigen Fantasie. Und noch was: Der Henning ist abgereist, mit dem Frühzug. Er muss nach Frankfurt, hat er gesagt. Aber er kommt wieder. Vielleicht.“
14
„Du, Daniel, das ist es, das ist es! Unglaublich geradezu … Lass mich allein arbeiten. Bis später!“
Aus dem Rundbogentor des uralten Gasthauses Zur Traube drängten die Trommelweiber ans Licht: massige Gestalten in weißen Frauennachthemden, weiße Häubchen über den groben Maskengesichtern, alle mit gewaltigen Trommeln vor den Bäuchen, einige mit Blasmusikinstrumenten. Nach und nach füllten sie die breite Kirchengasse bis zum Meranplatz hinunter, und noch immer kamen welche dazu. Käfer hatte aufgehört zu zählen. Dieses stete Anschwellen der Menge war von unerbittlicher Gelassenheit. Die Trommelweiber, wusste Käfer, hatten einen anstrengenden Tag vor sich, einen langen Weg durch die Stadt mit vielen Stationen. All das geschah im schweren, gleichförmigen Rhythmus der Trommelschläge, über den sich immer wieder der Faschingsmarsch erhob, wild und kraftvoll anfangs, dunkel und elegisch, wenn es dem Abend zuging. Und von Mal zu Mal wurde die mit Wurstkränzen und Brauchtumsgebäck, den Beugeln, behängte Fahnenstange schwerer. Nein, lustig war der Zug der Trommelweiber nicht, schon eher eine gottlose Prozession, die forderte, statt zu bitten.
Es war auch nichts vom militärischen Gepränge irgendwelcher Karnevalsaufmärsche zu spüren. Vorne waren die Fahne und der Taktstock, dahinter waren die Musikanten und die Trommler, ein namenloser Haufen. Es dauerte lange, bis der Zug der Trommelweiber komplett war, bis sich der Taktstock hob und sich die Schar langsamen Schrittes in Bewegung setzte. Käfer folgte ihr ein Stück des Weges und beobachtete auch Sabine, die wie besessen fotografierte, gerade so, als habe sie eine erholsame Nacht hinter sich. Dann blieb er ein paar Schritte zurück und beobachtete, wie die weißen Gestalten mit dem Bild des alten Ortes eins wurden, fühlte, dass die Zeit nicht mehr mit dem Ticken der Uhren, sondern mit dem Schlag der Trommeln ging. Endlich blieb er stehen und schaute den Trommweibern nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte, wohl aber hören. Als es auch damit vorbei war, machte er sich auf den Weg in die Kurhauskonditorei.
Am Vormittag war es hier noch recht ruhig. Käfer trank Kaffee, las Zeitung, schlenderte dann ziellos durch den Ort, bis er von irgendwo her leises Trommeln hörte, oder den Faschingsmarsch. Dann folgte er den Klängen, war ihnen nahe und ließ sie an sich vorüberziehen. Nachdem er dieses Spiel ein paar Mal wiederholt hatte, wollte er es erst wieder nachmittags fortsetzen, wenn die Trommelweiber am Ende ihres Weges waren, die Köpfe schwer von Wein, Bier und Schnaps. Sepp Köberls Faschingsbrief fiel ihm ein. Er hatte noch immer die Melodien im Ohr und verschiedene Textstellen, die ihm besonders gefallen hatten. Ob ein Besuch angebracht war? „Hey,
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