Narrenwinter
wurde von einem unterdrückten Aufschrei Schillers abgelenkt. „Sieglinde Köberl!“
„Wer sonst?“ Sie hatte von ihrem Opfer abgelassen, stand vor ihm und schwenkte eine Brieftasche, die sie im Zuge ihrer Handgreiflichkeiten an sich gebracht hatte. „Geld, Herr Schiller. Wer’s hat, braucht’s nicht, und wer’s braucht, hat’s nicht. Hepp!“ Sie warf ihm sein Eigentum zu, schob die Maske vors Gesicht, nahm ihren gehorsamen Begleiter an die Leine und brach zu neuen Schandtaten auf.
12
Hubert Schlömmer saß wieder am Tisch. Käfer gab ihm einen Stoß mit der Faust. „Du hast was gewusst, Halunke!“
Schulterzucken. „Magst jetzt ein Bier?“
„Ja, ein großes.“ Käfer schaute auf seine Armbanduhr. „Der Lehrerfaschingsbrief sollte schon da sein.“
„Hm.“
„Und was sagst du zur Familie Köberl und diesen Geschichten mit Ebensee und Ischl, Hubert?“
„Nichts.“
„Du hast keine Ahnung?“
„Das hab ich nicht g’sagt.“ Schlömmer wies mit dem Kinn zur Tür. „Na also!“
Der Faschingsmarsch klang auf, so frisch und schwungvoll, wie ihn Käfer noch nie gehört hatte. Angeführt von Sepp Köberl zogen drei Männer und eine Frau musizierend ein. Sie trugen die gelben Arbeitsjacken der Ausseer Müllabfuhr und hatten Hüte auf den Köpfen, die ihrerseits reif für die Entsorgung waren. Ein Transparent mit der Aufschrift „MistkübelentLehrer“ wurde aufgespannt, fünf Kübel fanden vor den Männern Platz: Glas, Metall, Papier, Plastik, Sondermüll.
Käfer hatte eine einleitende Moderation erwartet. Stattdessen erlebte er eine gekonnte Pantomime. Ein Kübel nach dem anderen wurde stumm geöffnet und die jeweilige Reaktion sprach für sich: angewidertes Nasenrümpfen, erschrockenes Zuschlagen des Deckels, böses Grinsen, neugieriges Wühlen im Unrat und letztlich sogar eine wohltätige Ohnmacht. Dann erlebte Käfer vier Komödianten, die sich virtuos und vergnügt durch alle nur denkbaren Ausdrucksmöglichkeiten spielten. Schiller, der heimischen Mundart mächtig, übersetzte schwer Verständliches, wies auf Anspielungen, Zweideutigkeiten und verborgene Bosheit hin. Eine gute Stunde später wusste Käfer unter anderem, dass ein nicht sehr beliebter Jagdpächter – kein Ausseer, versteht sich – seinen grünen Geländewagen so geschickt im Wald abgestellt hatte, dass er ihn nur mit Hilfe der Bundesforste wiederfinden konnte. Käfer lachte über jene dem Greisenalter bedenklich nahen Männer – Ausseer, versteht sich – die in der neuen Disco partout nicht zum alten Eisen gehören wollten, er amüsierte sich königlich über jene unerschrockene Ehefrau, die ihren zahlungsunfähigen Gefährten frühmorgens aus dem Freudenhaus befreit hatte, und er vernahm schaudernd die Geschichte einer nach gutem altem Brauch gestohlenen Braut, die vom Trauzeugen trotz selbstloser Suche erst nach vier Tagen (und Nächten) gefunden werden konnte.
Dann aber war der Kübel mit der Aufschrift
Sondermüll
an der Reihe. Köberl zog eine Zeichnung hervor, die offenbar ihn selbst zeigte, wie er vergeblich versuchte, auf einem Bücherstapel balancierend ein offenes Fenster zu erreichen, wo ihn eine vollbusige, doch sichtlich in die Jahre gekommene Muse mit zum Kuss gespitztem Mund erwartete. Lausbuben versuchten, Bücher aus dem Stapel zu ziehen und ihn damit umzuwerfen. Zwei Frauen waren mit ausgebreiteten Armen offenbar willig, einen fallenden Köberl aufzufangen. Auf dem Dachfirst des Hauses saßen drei Geier mit Menschengesichtern. Schiller gab Käfer einen Stoß. „Die drei sind aus dem Gemeinderat! Und die zwei Lauser unten sind Schulkollegen.“
Dann zogen die Lehrer Pilzkopf-Perücken hervor und sangen nach der Melodie von „Hey Jude“: „Hey Sepp, sei nur kein Depp / Deine Bücher, die sind dir sicher / und denk dran, auch wenn’s dich hinunter haut / dann fällst du weich, so viel ist sicher.“
Lachend kletterte Köberl in den Sondermüll-Kübel und ließ sich von zwei Lehrern hinausschleppen, während der dritte auf der Trompete triumphierend den Faschingsmarsch blies.
Käfer hielt es nicht auf seinem Platz. Er lief in den Vorraum, wo die Künstler eben dabei waren, ihre Requisiten zu ordnen. „Herr Köberl, also ehrlich, das war großartig!“
„Dann ist’s recht.“
„Und die letzte Nummer, ganz hab ich’s ja nicht verstanden, aber ich würde gerne auch helfen, beim Auffangen. Mit allen Kräften.“
„Und dann liegen S’ neben mir.“ Köberl lachte. „Jetzt hab ich’s
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