Narrenwinter
auch?“
Käfer war ganz froh darüber, dass ihm ein neuer Gast die Antwort ersparte. Hubert Schlömmer stand in der Tür und warf einen suchenden Blick in die Runde. Schiller winkte ihm zu und zeigte auf den freien Sessel neben sich. Schlömmer tippte gegen die Hutkrempe, kam näher und nahm Platz. Ohne eine Bestellung abzuwarten, brachte die Serviererin ein Bier. Sie kraulte seinen Nacken. „Na, Hubert? Wieder unterwegs?“
„Noch immer.“ Er tat einen tiefen Schluck, lehnte sich zurück und streckte die Beine unter dem Tisch aus. Schiller hob sein wieder gefülltes Glas und prostete ihm zu. Käfer nippte an seinem Tee und versuchte Neues in Schlömmers Gesicht zu lesen. Aber alles war wie immer: heftig geschnitztes Hartholz, die Kerben und Konturen vielleicht eine Spur deutlicher als sonst.
Schiller beugte sich vor und senkte vertraulich die Stimme. „Ist die Trommel vorbereitet, für morgen früh?“
Schlömmer gab keine Antwort, griff aber nach Käfers Tasse und roch daran. „Bist krank?“
„Nein. Vorsichtig.“
„Auch nicht besser.“
Schweigen machte sich breit. Dann erstarb übergangslos auch das Stimmengewirr ringsum. Die schwere Wirtshaustür war durch einen Fußtritt geöffnet worden, kalte Winterluft strömte in die Stube, doch niemand trat ein. Hubert Schlömmer stand unwillig auf, ging zur Tür, blieb stehen, als wäre er gegen die Wand gerannt, hob die Schultern, machte kehrt und stellte sich an die Schank. Dann hämmerte Musik los, Techno, überlaut, verzerrt, wütend. Eine mächtige Gestalt kam ins Bild: plumpe Schuhe mit genagelten Sohlen, weit geschnittene Jeans mit tief hängendem Hosenboden, Lederjacke, darüber ein mehrfach gepierctes Gesicht mit kahlem Schädel – eine Maske, aber eine, die nicht komisch verfremdete oder grotesk überzeichnete, sondern einfach nackte Brutalität ausdrückte. Der Mann wuchtete seine Musikmaschine auf den nächstbesten Tisch.
Dann war ein schriller Pfiff zu hören, der sogar die dumpf dröhnende Musik übertönte. Der Glatzkopf schaute zur Tür hin, senkte den Kopf und verließ eilig den Raum. Als er gleich darauf wiederkam, trug er ein mit Metallspitzen besetztes Hundehalsband und wurde von einer Frau in hohen Lackstiefeln und Leder-Corsage an der Leine geführt. Das bizarre Paar blieb in der Raummitte stehen. Sie musterte die Gäste, ruhig und gründlich. Manchmal ging sie mit ihrem folgsamen Begleiter ein paar Schritte auf einen Tisch zu, wandte sich aber bald wieder ab. Dann jedoch zog sie ihren Begleiter dicht an sich heran, flüsterte etwas Unhörbares, löste die Leine und zeigte auf Daniel Käfer.
Der Glatzkopf näherte sich ihm mit bedrohlicher Langsamkeit, griff nach Schillers Glas und schüttete den Wein in die Teetasse. Dann nahm er sein Hundehalsband ab und legte es Käfer um, der beschlossen hatte, erst einmal ruhig mitzuspielen. Er griff sich prüfend an den Hals. „Passt und hat Luft, mein Lieber. Zählt allerdings nicht zu meinen Lieblings-Perversionen.“ Sein Gegenüber holte eine Bierdose hervor, trank, rülpste, drückte das leere Behältnis zusammen und schob es in eine Seitentasche von Käfers Sakko.
Inzwischen war auch die Domina herangekommen und fing an, sich mit Eustach Schiller zu befassen, indem sie seine Krawatte losband und ihm die Hände aneinander fesselte. Im Gegensatz zu Käfer, der allmählich die Geduld verlor, schien Schiller seine missliche Lage zu genießen. Interessiert versuchte er durch die Augenlöcher der Maske zu schauen. Ohne Widerstand zu leisten, ließ er zu, dass sein Hemd geöffnet wurde. Eine durchaus zartfühlende Hand erforschte den spärlichen Haarwuchs auf seiner Brust. Als sich die tastenden Finger seinem Hosenbund näherten, wurde Schiller allerdings nervös. Hilfe suchend warf er einen Blick zu Daniel Käfer hinüber, der aber auch in Bedrängnis geraten war. Der Glatzkopf hatte nun eine Haarschneidemaschine in der Hand und näherte sich in unmissverständlicher Absicht Käfers Kopf. „Also Schluss jetzt!“ Käfer war energisch aufgestanden und hatte nach dem Handgelenk seines Widersachers gegriffen – ein verblüffend zartes Handgelenk. Die vordem so bedrohliche Gestalt ließ das Gerät einfach fallen, umarmte ihr Opfer und schob dann die Maske hinauf. „Aber d’Mutter und d’Tochter habn in Ebensee was ztoan“, flüsterte Anna und hauchte Käfer ihren Bieratem ins Gesicht. Dann deutete sie auf die Maske: „… mit unseroan.“
„Ja, und was noch, du Rabenbraten?“ Käfer
Weitere Kostenlose Bücher