Narziss und Goldmund
gestern und heute ohne Nachtgebet schlafen gegangen war. Er stand auf, kniete neben seinem Lager nieder und betete seinen Abendspruch zweimal, für gestern und für heut. Bald schlief er wieder.
Verwundert blickte er sich am Morgen im Walde um, er hatte vergessen, wo er war. Die Waldangst begann nun nachzulassen, mit neuer Freude vertraute er sich dem Waldleben an, immer aber weiter wandernd und seinen Weg nach der Sonne richtend. Einmal fand er eine Waldstrecke, die war vollkommen eben, mit wenig Unterholz, und der Wald bestand aus lauter sehr dicken, alten, geraden Weißtannen; als er eine Weile zwischen diesen Säulen gegangen war, begannen sie ihn an die Säulen der großen Klosterkirche zu erinnern, eben jener Kirche, in deren schwarzes Portal er seinen Freund Narziß neulich hatte verschwinden sehen – wann doch? War das wirklich erst vor zwei Tagen gewesen?
Erst nach zwei Tagen und zwei Nächten kam er aus dem Walde heraus. Mit Freude erkannte er die Zeichen der Menschennähe: bebautes Land, Streifen Ackers mit Roggen und mit Hafer bestanden, Wiesen, durch welche, da und dort ein Stückchen w eit sichtbar, ein schmaler Fuß weg getreten war. Goldmund pflückte Roggen und kaute, freundlich blickte das bestellte Land ihn an, menschlich mutete und gesellig nach der langen Waldwildnis alles ihn an, das Wegchen, der Haber , die verblühten weißgeworde nen Kornnelken. Nun würde er zu Menschen kommen.
Nach einer kleinen Stunde kam er an einem Acker vor ü ber, an dessen Rande stand ein Kreuz aufgerichtet, er kniete und betete zu seinen Füßen. Um eine vorspringende Hügelnase biegend, stand er plötzlich vor einem schattigen Lindenbaum, hörte entzückt die Melodie eines Brunnens, dessen Wasser aus hölzerner Röhre in einen langen Holztrog fiel, trank kaltes köstliches Wasser und sah mit Freude ein paar Strohdächer aus den Holundern ragen, deren Beeren schon dunkel waren. Tiefer als alle diese freundlichen Zeichen berührte ihn das Brüllen einer Kuh, das klang ihm so wohlig, warm und wohnlich entgegen wie eine Begrüßung und ein Willkomm,
Spähend näherte er sich der Hütte, aus der das Kuh gebrüll gekommen war. Vor der Haustür saß im Staube ein kleiner Knabe mit rötlichem Haar und hellblauen Augen, der hatte einen irdenen Topf voll Wasser neben sich stehen, und aus dem Staub und dem Wasser machte er einen Teig, mit dem seine nackten Beine schon überzogen waren. Glücklich und ernsthaft drückte er den nassen Dreck zwischen seinen Händen, sah ihn zwischen den Fingern hervorquellen, machte Kugeln daraus und nahm zum Kneten und Formen auch noch sein Kinn zu Hilfe.
»Grüß Gott, Bub«, sagte Goldmund sehr freundlich.
Aber der Kleine, als er aufblickte und einen Fremden sah, riß das Mäulchen auf, verzog das feiste Gesicht und lief plärrend auf allen vieren zur Haustür hinein. Goldmund folgte ihm und kam in die Küche; sie war so dämmerig, daß er, aus dem hellen Mittagsglast hereinkommend, anfangs nichts zu sehen vermochte. Er sprach für alle Fälle einen frommen Gruß, es kam keine Antwort; über dem Geschrei des erschreckten Knaben wurde aber allmählich eine dünne greise Stimme hörbar, die dem Buben tröstend zusprach. Endlich erhob sic h im Dunkel und näherte sich eine kleine alte Frau, hielt eine Hand vor die Augen und sah zu dem Gaste auf.
»Grüß dich Gott, Mutter«, rief Goldmund, »und alle lieben Heiligen sollen dein gutes Gesicht segnen; seit drei Tagen habe ich kein Menschengesicht mehr gesehen.«
Blöde schaute das alte Weiblein aus weitsichtigen Augen.
»Was willst denn du?« fragte sie unsicher.
Goldmund gab ihr die Hand und streichelte die ihre ein wenig.
»Grüß Gott sagen will ich dir, Großmütterchen, und ein bißchen ausruhen und dir beim Feuermachen helfen. Ein Stück Brot, wenn du mir eins geben willst, verschmähe ich nicht, es hat aber keine Eile damit.«
Er sah eine Bank an die Wand gezimmert, auf die setzte er sich, während die A lte dem Buben ein Stück Brot ab schnitt, der jetzt gespannt und neugierig, aber noch jeden Augenblick zum Weinen und Weglaufen bereit, zu dem Fremden hinüberstarrte. Die Alte schnitt noch ein zweites Stück Brot vom Laib und brachte es Goldmund.
»Danke schön«, sagte er, »Gott soll dir’s lohnen.«
»Hast du einen leeren Bauch?« fragte das Weib.
»Das nicht, er ist voll von Heidelbeeren.«
»Na dann iß! Wo kommst du her?«
»Von Mariabronn, vom Kloster.«
»Bist ein Pfaff?«
»Das nicht. Ein Schüler. Auf
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