Narzissen und Chilipralinen - Roman
still, aber ich kann mir gut vorstellen, dass er lieber weinen würde.
Ach Gott, warum passiert so viel Schreckliches? Warum ausgerechnet Daniel, nachdem er letztes Jahr fast selbst ums Leben gekommen wäre?
Apropos Daniel – bitte mach, dass er wieder mit mir spricht!
Einige trauen sich, laut zu beten. Michael. Daniel. Tine natürlich. Finn. Angelika. Und dann sogar Basti: »Lieber Gott, hilf Daniels Schwester und lass sie wieder aufwachen, amen.« Kein spektakuläres Gebet, aber durch meine Wimpern beobachte ich, wie seine Hände zittern, seine Schultern beben. Ich würde ihm am liebsten beruhigend auf den Rücken klopfen und ihn für seinen Mut loben.
Ein lautes Gepolter am Eingang stört uns auf. Jackson steckt die Nase durch den Türspalt, neben ihm sind durch die Milchglasscheibe mehrere Gestalten sichtbar, zwei davon mit Schrankformat.
»He, Basti, seid ihr immer noch nicht fertig da drin?«
»Doch, fast«, antwortet Michael laut. »Ihr könnt gerne reinkommen, während ich die Gebetszeit abschließe.«
»Nee, danke.« Verlegenes Lachen. »Wir warten lieber draußen.«
Einige rutschen unruhig auf ihren Stühlen herum, denn im Vorraum hängen unsere Jacken.
»Hoffentlich gehen die nicht an mein Portemonnaie«, jammert Kati.
Michael lässt sich nicht hetzen. »Ich hab das Gefühl, dass Gott wirkt«, sagt er. »Wir sollten weiterbeten. Besonders für Sarah, das ist mir ein echtes Anliegen. Für alle, die möchten, werde ich morgen Vormittag diesen Raum öffnen. Bitte kommt zahlreich. Vielleicht«, fügt er hoffnungsvoll hinzu, »werden wir erleben, wie Gott ein Wunder tut.«
Das Erstaunliche ist, dass ich mich auch melde. Schließlich habe ich dafür gebetet, dass Daniel mich wieder ansieht, und das sollte ihm doch zeigen, dass ich mich bemühe, oder? Außerdem gibt es vielleicht wirklich ein Wunder, und dann will ich dabei mitgeholfen haben.
Meine Sonne
,
ich bin schwer enttäuscht, dass du dich von diesem Kerl blenden lässt. Oberflächlich betrachtet mag er ja ganz nett sein, aber du verdienst so viel mehr. Jemanden, der dich richtig versteht. Der nicht mit einem Bein in der Hölle steht, bei seiner zweifelhaften Vergangenheit. Er ist nur deinetwegen dabei, merkst du das denn nicht? Ich bezweifle, dass viel von seinem Eifer echt ist
.
Bei mir wirst du Echtheit finden. Ehrlichkeit. Ich sehe dich, wie Gott dich gedacht hat, mit deinen Gaben und Möglichkeiten und deiner Schönheit. Vielleicht war ich zu naiv. Ich dachte, du wirst selbst sehen, zu wem du gehörst. Doch wahrscheinlich ist es doch nötig, dass ich dich vor ihm warne. Es gibt auf dieser Welt viel Schlechtes, viel mehr Boshaftigkeit, als du es dir vorstellen kannst, mein Engel, und ich will nicht, dass du damit in Berührung kommst. Ich glaube, es ist meine Berufung, dich zu beschützen und zu umsorgen
.
Sicherlich fragst du, wie ich darauf komme. Soll ich dir was erzählen? Ich habe Gott im Gebet gefragt, welches Mädchen für mich bestimmt ist, und der Heilige Geist hat mir dein Gesicht gezeigt. Du bist es. Gott hat uns beide zusammengeführt. Geh ins Gebet und frag ihn, und er wird dir dasselbe zeigen. Tut er es nicht, bete weiter, immer weiter, bis er dir schließlich offenbaren wird, was er auch mir offenbart hat: Wir gehören zusammen, du und ich
.
Diese Erkenntnis ist so groß und gewaltig, dass ich vor Aufregung zittere und mir fast schwindlig wird. Ist unser Gott nicht genial?
Für immer der Deine
,
dein Salomo
7.
Beten ist anstrengend. Leute, glaubt mir, es ist Schwerstarbeit! Dagegen ist Mathe gar nichts.
Stundenlang an eine Sache denken? An Sarahs Gesicht? Geht nicht. Will ich auch gar nicht, ehrlich gesagt. Aber selbst wenn ich wollte, es ist unmöglich. Kaum streift mein erster Gedanke das Thema Krankenhaus, findet sich der zweite Gedanke bei Tom ein, der dritte bei Daniels Schrecken, als er uns beide zusammen sieht. Der vierte Gedanke ist pure Verzweiflung, der fünfte erinnert sich an den Abend in meinem Zimmer (wollüstige Gedanken beim Fürbitte-Gebet, tja ...), der sechste landet bei Tabita, die uns erwischt, und der Sorge darum, sie könnte es meinen Eltern erzählen. Schon bin ich bei Mama, die mir heute Morgen eine Predigt übers Zimmeraufräumen gehalten hat und nichts dagegen sagen konnte, dass ich stattdessen zum Gebetstreff gegangen bin. Womit ich wieder beim eigentlich Grund wäre, warum ich hier bin: um für Sarah zu beten.
Wir dürfen sitzen, knien, was immer wir wollen. Hat Michael jedenfalls
Weitere Kostenlose Bücher