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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Dalinger
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und wendet sich gleich wieder seiner Gitarre zu.
    Mist.
    Er ist mir immer noch böse. Das Dumme ist: Ich kann es ihm nicht erklären, dass ich Toms Hand gehalten habe, denn ich habe schließlich Tom versprochen, dass ich dicht halte. Es wäre viel einfacher, wenn ich es Daniel erklären könnte. Wenn ich sagen könnte: Du, sein Vater liegt im Sterben, dann darf man schon mal jemandes Hand drücken. Es bedeutet bloß, dass man mitfühlt. Nicht, dass man etwas fühlt. Es ist eine ganz üble Geschichte, würde ich sagen. Toms Vater ist nur mit dem Hund raus und wurde überfahren, und wenn der Schuldige nicht einfach abgehauen wäre, sondern sofort Erste Hilfe geleistet hätte, stünde es jetzt nicht so schlimm um ihn.
    Aber ich habe versprochen, kein Wort zu sagen, und darum sitze ich jetzt in der Tinte. Dabei bin ich bloß wegen jenes anderen Versprechens hier, das ich Daniel gegeben habe. Das müsste ihm doch eigentlich auffallen, oder? Ihn gnädig stimmen?
    Sonja macht sich mit einem gemurmelten »Tja, dann geh ich mal, ist Michael hier irgendwo?« aus dem Staub. Jetzt könnten wir uns aussprechen, wenn Daniel nicht sofort aufstehen, die Gitarre weglegen und sich an mir vorbeidrücken würde, ohne mich anzusehen.
    Mist, Mist, Mist. Ich schaue nach und frage mich, was man machen soll, wenn man vorschnell ein Versprechen gegeben hat. Es einfach brechen? Bevor man sich und allen anderen das Herz bricht, vielleicht wiegt da ein gebrochenes Versprechen nicht allzu schwer.
    Sonja hat Michael offensichtlich gefunden und ihm mitgeteilt, dass wir fertig sind. Er ruft uns alle wieder zusammen und eröffnet uns die geniale Idee, die Zusammenkunft mit einer Gebetsgemeinschaft zu beenden. Mir ist sowieso schon aufgefallen, dass unser Goliath unheimlich gerne betet. Bei jeder Gelegenheit. Michael betet nicht bloß im Stehen, Gehen und Liegen. Er würde, wenn man ihn ließe, pausenlos Gebets-und Fastennächte einberufen, Gebetswochenenden, -ferien, -sitzungen, -abende und was weiß ich noch. Mr. Goliath würde im Schwimmbad beten, im Kino, beim Marathonlaufen und beim Schachspielen. Immer und überall. Im Stehen, im Sitzen, im Gehen, tanzend, hüpfend und Fahrrad fahrend.
    Während ich, wie schon gesagt, damit so meine Schwierigkeiten habe. Die Sorte Schwierigkeiten, die man übrigens in christlichen Kreisen niemals zugeben darf, wenn man nicht will, dass die anderen für einen beten statt mit einem.
    »Also, hat jemand ein Anliegen?«
    Jetzt kommt die übliche Liste an Referaten, Tests, grippalen Infekten und eingewachsenen Zehennägeln, die des Gebets bedürfen. Seit Basti da ist, ärgere mich nicht einmal mehr, wenn die besonders Frommen eine Zwei in der Klassenarbeit als Super-Gebetserhörungs-Wunder anpreisen, denn für ihn ist es ganz neu, dass man auch für Kleinigkeiten beten kann.
    »Tja, ich ...« Bastian wird so rot, dass seine hellen Haare auf dem Kopf wie umgekehrte Streichhölzer aussehen. »Ich weiß nicht, ob ...« Gleich wird er in Flammen aufgehen.
    »Nur Mut«, ermuntert Michael.
    »Also, ich hab Ärger zu Hause. Wenn wir vielleicht auch dafür ...?«
    »Ja«, sagt Michael. »Natürlich, das machen wir.«
    Dann räuspert Daniel sich. »Meine Schwester liegt im Koma. Das wisst ihr wahrscheinlich schon. Ich würde mich freuen, wenn wir für sie beten könnten.«
    »Natürlich«, sagt Michael.
    Wir beten also. Ich versuche, ruhig zu werden und die passenden Worte zu finden, aber das ewige Karussell der Gedanken und Bilder in meinem Kopf kommt nicht zum Stillstand. Ich denke an Sarah in ihrem Krankenbett, an ihr stilles, ernstes Gesicht, und daran, wie ich mich gefragt habe, ob sie wohl Daniel noch mehr ähnelt, wenn sie die Augen aufmachen und lächeln würde. Er hat mir gesagt, dass sie eine fröhliche Person ist. Offen und sozial engagiert und total der Kumpeltyp.
    Bitte, Gott, mach sie wieder gesund. Bitte ... Und dann denke ich an Tom. Daran, wie er im Aufenthaltsraum gesessen hat, bleich und sexy wie ein Vampir, an die Angst in seinen Augen. Da bete ich auch für Toms Vater, dass Gott ein Wunder tut und er doch überlebt. Und dass die Polizei den Schuldigen findet, der sich so mies davongemacht hat.
    Heimlich schaue ich mich um, wie die anderen dasitzen, die Köpfe gesenkt, die Hände gefaltet. Daniel hat die Hände vors Gesicht geschlagen, und plötzlich schäme ich mich zu Tode, dass ich ihm auch noch Grund gebe, an meiner Liebe zu zweifeln, während er mich gerade jetzt am nötigsten braucht. Er hält ganz

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