Narzissen und Chilipralinen - Roman
bekommt das hin, da bin ich mir sicher.«
»Viel Glück mit deiner Ariane.« Daniel grinste.
»Danke. Und nun brauchen wir erst mal Glück, wenn wir versuchen, uns in Philipps Leben einzumischen.«
Der Valentinstag beginnt mit tiefstem Frost. Die Primeln, die meine Mutter in einem Anflug von Frühlingssehnsucht in die Töpfe vor dem Haus gepflanzt hat, sind welk.
Kein gutes Zeichen.
Beim Frühstück liest sie die Todesanzeigen vor. Das ist eins ihrer liebsten Hobbys: das Sammeln von Todesanzeigen. Vielleicht müssen wir uns deshalb alle immer so gesund ernähren?
»Nach langer und schwerer Krankheit verstarb Luise Kleine im gesegneten Alter von vierundneunzig Jahren.« Sie seufzt. »Das ist so schön!« Tja, meine Mutter. Bei meinem Vater könnte ich das noch verstehen, er muss ja auch Trauerreden halten und braucht gute Sprüche. Aber meine Mutter sammelt sie, als wären es kostbare Gedichte.
»Bei diesem eisigen Wetter sterben besonders viele Leute«, stellt sie zufrieden fest. Dann blickt sie auf, in mein entsetztes Gesicht, und stammelt hastig: »Aber das muss nichts heißen, ich meine, wegen Sarah. Gar nichts. Mach dir keine Sorgen, Miriam. Wenn so viele junge Leute beten ... das muss doch einen Sinn haben.«
Hat sie auch die Todesanzeige von Toms Vater ausgeschnitten? Oder gab es gar keine? Toms Familie leidet bestimmt lieber still für sich, als es der ganzen Welt kundzutun.
Doch nicht einmal der Tod verschlägt mir den Appetit. Ich knabbere brav meinen Toast auf – dick mit Frischkäse und Honig bestrichen –, trinke die Milch aus und schnappe mir die Schultasche.
Ich werde heute nicht deprimiert sein. Vielleicht bekomme ich ein Geschenk, wer weiß? Da sollte ich schon mal ein Lächeln aufsetzen. Nur für den Fall.
Ich warte vergebens auf einen Anruf oder eine SMS von Daniel. Er wird den großen Tag der Liebenden doch nicht etwa vergessen haben? In Gedanken formuliere ich bereits eine Todesanzeige auf unsere Freundschaft.
»Plötzlich und unerwartet verstarb die große Liebe zwischen Miriam und Daniel. In tiefer Trauer, die Angehörigen: Familie Hartmann und Familie Weynard.« Oder so: »Nach viel zu kurzer Zeit müssen wir uns bereits wieder von dir verabschieden. Es war schön, dich gekannt zu haben. Die Liebe zwischen Daniel und Miriam. Geboren ... gestorben ... Von Beileidsbekundungen am Grabe bitten wir abzusehen.«
Ich schließe mein Fahrrad ab, was mit klammgefrorenen Fingern etwas umständlich vonstattengeht, und drehe mich um. Und da steht er. Groß und blond und dieses Lächeln in den Augen, das ich so liebe. Es verwandelt sein Gesicht in etwas, das ich immerzu anschauen könnte.
»Hi«, sagt er.
»Selber hi«, gebe ich zurück und stelle mich auf die Zehenspitzen, damit er mich küssen kann. Ob er daran gedacht hat, welcher Tag heute ist?
»Ich hab mir was überlegt«, sagt Daniel und drückt seine Lippen auf meine. »Während ich mit Michael bei Philipp war.« Seine Nase ist kalt, so wie meine auch. Ich will, dass er mich in den Arm nimmt, damit mir wieder warm wird, aber er lässt es bei diesem kleinen Begrüßungsküsschen bewenden. Ein mickriges Küsschen, als wären wir schon seit zwanzig Jahren verheiratet und hätten vergessen, wie das geht.
»Ihr wart bei Philipp? Wieso?«
»Das ist eine längere Geschichte. Jedenfalls war Michael ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis. Was wollte ich noch mal sagen?«
Ups, ich habe ihn abgelenkt. »Du hast eine Idee. Was für eine?« Hoffentlich nicht, dass wir den Tag heute im Krankenhaus verbringen oder so.
Er reicht mir ein kleines Blumensträußchen, das schon ein bisschen durch die Fahrradfahrt in der Kälte gelitten hat. Narzissen, die Sorte mit den kleinen Kelchen, die ich am liebsten mag. Sie strahlen sonnengelb, und obwohl erst Februar ist, verkünden sie lauthals den Frühling. Er hat also doch dran gedacht.
»Oh Daniel«, ich strahle, »du bist so lieb!« Noch bin ich ohne böse Vorahnung. Ich halte den Frühling in den Händen und einen kostbaren Moment lang ist die Welt wieder in Ordnung.
»Sieben Wochen ohne«, sagt er. »Du weißt schon. Fasten bis Ostern.«
»Aha. Worauf willst du denn verzichten?« Ich finde, er verzichtet schon genug, besonders jetzt, da Sarah krank ist. Keine Partys, kein Spaß. Nur Trübsal blasen.
»Wir sollten es ein bisschen ruhiger angehen. Ich dachte, wenn wir ... sieben Wochen lang, das ist ja nicht die Welt ...«
Er stottert herum. Das ist kein gutes Zeichen. Oh, oh. Mir schwant
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