Narzissen und Chilipralinen - Roman
keins ihrer Worte hören. Denn auf der anderen Seite des Schulhofs entdecke ich Tom mit seinen Freunden. Sein dunkler Haarschopf ist unverkennbar, weil er größer ist als die meisten.
Ob sein Vater wieder gesund ist? Hat mein Gebet geholfen?
»Komm, wir gehen da rüber«, sage ich zu Rosi und marschiere zielstrebig durch das Gedränge.
»Wohin willst du denn bloß?«
Da ist er. Lächelt vorsichtig, als er mich sieht. Ich scanne sein Gesicht, seine Haltung. Ist er wieder glücklich? Dass er immer noch recht blass ist, könnte an der Wintersonne liegen.
»Hallo«, sage ich, »ähm ...«
»Entschuldigt mich mal kurz«, sagt Tom zu seinen Kumpels und winkt mir, mitzukommen.
»Tut mir leid«, kann ich Rosi gerade noch zuzischen, dann folge ich Tom, von den anderen weg, außer Hörweite.
Erwartungsvoll schaue ich ihn an. »Wie ist es?«, frage ich. »Geht es deinem Vater besser?«
»Er ist tot«, sagt Tom. Einfach so, ohne schonende Einleitung.
»Oh Gott.« Ich muss schlucken. Das ist nun nicht das, womit ich gerechnet habe. Ich habe doch so viel gebetet, hätte das nicht helfen müssen? »Das tut mir leid. Was machst du denn jetzt?«
»Was soll ich schon machen? Außer, nicht drüber zu sprechen?«
Die Schulklingel schallt über den Pausenhof. Wir ignorieren sie einfach. Mit einem halben Ohr bekomme ich mit, dass Rosi meinen Namen ruft, dann ist Stille. Wir stehen hier allein.
Und reden. Und reden immer noch, als die nächsten beiden Stunden um sind und die Massen wieder zurück auf den Hof strömen. Es ist, als sei überhaupt keine Zeit vergangen.
Ich glaube, sämtliche Lehrer wissen Bescheid. Denn niemand sagt irgendwas, weder von seiner Schule noch von unserer. Nur Rosi schaut ungläubig, als ich auf sie zumarschiere.
»Äh, Miri, du hast zwei Stunden verpasst.«
»Echt?« So lange ist es mir gar nicht vorgekommen. »Das war Tom«, erkläre ich ihr. Als wenn nicht jeder weiß, wer er ist. Tom ist beileibe niemand, den man übersieht.
»Ich dachte ... bist du denn nicht mehr mit Daniel zusammen?«
»Tom hat nur ein Problem«, sage ich. »Mit Daniel habe ich ganz andere Probleme.«
Offenbar mutiere ich zu so einer Art Kummerkastentante. Nicht nur Tom schüttet mir sein Herz aus. Es kommt noch besser.
Im Winter bietet sich eine Schneeballschlacht an, wenn man sich im Park trifft. Nur einen kurzen Moment lang komme ich mir zu alt dafür vor. Sobald die Bälle fliegen, ist jeder Gedanke an Würde vergessen.
»He, ihr.« Basti stapft auf uns zu und zieht mich zur Seite. »Sag mal, Messie, du bist doch ein Mädchen.«
»Gut erkannt«, bemerke ich.
Aber ich bin nicht zu streng mit ihm, denn er verzieht gequält das Gesicht. »Also, ich dachte ... demnächst ist der vierzehnte Februar, das ist doch der Valentinstag ... wenn ich ... ich meine, wenn ich Tine was schenken würde?«
Sonja hatte recht. Er ist tatsächlich in Tine verknallt!
»Mach doch«, sage ich. »Sie freut sich bestimmt.«
Ich glaube, noch nie hat sich irgendein Junge für Tine interessiert. Das wird sie umhauen.
»Was schenkt man denn da so?« Er ist sich total unsicher.
Zugegeben, ich hab auch noch nie was zum Valentinstag bekommen. Ob Daniel wohl dran denkt?
»Was Süßes«, sage ich. »Damit beweist du ihr, dass du sie süß findest. Schokolade ist eigentlich immer gut.« Wer anderer Meinung ist, sollte keinen Schokoholic um Rat fragen.
»Tja, dann ... dann mach ich das mal.«
Er schwitzt. Hoffentlich ist Tine nett zu ihm. Bastian hat nicht so das glückliche Händchen, was die Mädchen angeht, in die er sich verliebt. Steffi hat ihn böse ausgenutzt, aber Tine wird bestimmt anders sein. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass es sie stört, wie er sich anzieht und mit welchen Typen er abhängt. Und er interessiert sich zwar für den Glauben und liest in der Bibel, aber ob er sich wirklich auf Gott einlassen will, scheint er selbst noch nicht zu wissen.
Ich verschone Basti mit meinen Überlegungen und spreche ihm Mut zu, und als er abzieht, sieht er richtig fröhlich aus.
Meine Sonne
,
du musst mehr beten. Dann wirst du die Wahrheit erkennen, nämlich dass wir zusammengehören. Ich bin mir ganz sicher, dass der Heilige Geist dir zeigen wird, was er auch mir gezeigt hat. Und wenn nicht – hast du wirklich den Mut, dich einfach darüber hinwegzusetzen, was er mir gesagt hat?
Es wäre Ungehorsam und das weißt du so gut wie ich. Du und ich, das ist von Gott so bestimmt. Unser eigener Wille zählt nichts gegen seinen
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