Narzissen und Chilipralinen - Roman
eingewickelt ist, gerät sie regelrecht in Panik. Ich kann nicht verstehen, was er sagt, aber er steht da wie ein schüchterner Grundschüler und wartet.
»Nein danke«, sagt Tine laut und schüttelt den Kopf. Sie macht einen Schritt rückwärts, geht dann in einem Bogen um ihn herum und stürzt zur Glastür, als sei sie nur dort sicher, in den vertrauten Räumen unserer Gemeinde.
Basti bleibt eine Weile stehen, bis er merkt, dass eine Reihe Jugendlicher vom Parkplatz her hochkommt. Da sieht er sich panisch um, pfeffert das verräterische Geschenk in den Papierkorb und ergreift die Flucht.
In diesem Moment begreife ich erst, was ich da miterlebt habe. Eine Tragödie. Eine Katastrophe. Vor allem dann, wenn Bastian jetzt geht. Vielleicht kehrt er dann nie zurück.
Ich sprinte los, springe in Bastis Weg und packe ihn am Ärmel.
»He, du gehst in die falsche Richtung!« Es klingt nicht mal aufgesetzt fröhlich. Egal. Er ist alles andere als gut gelaunt, und mir geht es ganz ähnlich.
»Weiß ich«, knurrt er.
Soll ich verraten, was ich gesehen hab? Oder wäre ihm das zu peinlich?
»Wir üben heute weiter«, sage ich. »Du willst doch nicht etwa abhauen? Sonja bringt heute das Stück mit.«
Er nickt düster. »Sorry, Messie, aber ich mach nicht mehr mit.«
»Natürlich machst du mit«, widerspreche ich. Ich sehe ihn doch genau vor mir, als Soldat, der mit schwerem Herzen davonschleicht, weil er lügen soll. »Wir brauchen dich da. Ich brauche dich. Stell dir vor, wenn wir Ostern die Aufführung haben und du bist nicht dabei!«
Er seufzt und streicht sich über die weizenblonden Stoppelhaare.
»Komm.« Ich ziehe ihn zurück. Mit sanftem Druck. Er könnte mich mühelos abschütteln, doch er zögert.
»Ich weiß nicht«, murmelt er. »Ob ich das fertigbringe ...«
Obwohl ich mir denken kann, was er meint, tue ich so, als hätte er sich aufs Theaterspielen bezogen. »Natürlich tust du das«, versichere ich ihm. »Wir üben so lange, bis es klappt.«
»Wird Daniel da sein?«, fragt er.
Daniel, sein Freund. Daniel, auf den er so große Stücke hält. Den er auch für meinen Freund hält, obwohl ich mir im Moment gar nicht sicher bin, dass er das ist. Ich meine, welcher Freund will sieben Wochen lang aufs Küssen verzichten? Wie bescheuert ist das denn? Mein vermeintlicher Traumtyp ist ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Das ist mir echt zu hoch.
»Bestimmt«, antworte ich und hoffe, es fällt ihm nicht auf, dass ich keine Ahnung habe, was Daniel heute vorhat. Oder sonst wann. Weil ich zurzeit nicht mit dem Spinner rede. Weil ich gerade wie ein Zombie mit einem gebrochenen Herzen durch den Schnee stiefele und mir nicht einmal kalt wäre, wenn ich barfuß gehen würde, weil ich innerlich und äußerlich bereits erfroren bin und man schließlich nicht zweimal erfrieren kann, stimmt’s?
Basti kämpft noch mit sich, aber da erscheint Daniel tatsächlich und winkt ihm. Oder uns beiden, möglicherweise. Mein Daniel. Ich muss ihn nur von weitem sehen und mein frisch verstorbenes Herz beginnt wie wild in meinem Brustkorb zu zappeln. Seine Wangen sind gerötet von der Kälte. Sein Atem zaubert weiße Wölkchen in die Luft. Das Einzige, was ich will, ist, dass er mich in die Arme nimmt, aber das wird er nicht tun. Also sage ich nichts, als Basti ihn freudestrahlend begrüßt. Und als wir zu dritt ins Gemeindehaus gehen, tut jeder von uns dreien so, als wäre alles in Ordnung.
An diesem Abend geht alles schief, was schiefgehen kann. Daniel verspielt sich ständig auf der Gitarre, er ist hörbar nicht bei der Sache, und deshalb klappt es nicht mit dem Singen. Michael spricht heute über das Gleichnis mit den vergrabenen Talenten, um auf unseren Talentabend überzuleiten, aber ich höre ihm gar nicht zu. Stattdessen beobachte ich Tine. Vor Überraschung bleibt mir beinahe der Mund offenstehen: Sie sitzt neben Finn, und er hat seine Hand über ihre gelegt. Ich bin nicht die Einzige, die das bemerkt hat. Basti schluckt schwer und versucht gar nicht erst, mitzusingen.
Finn. Wieso denn Tine und Finn? Sie zieht ihre Hand zurück und schaut zu Boden. Jetzt kapiere ich gar nichts mehr.
Wie es so meine Art ist, wenn jemand in mein Blickfeld gerät, versuche ich einzuschätzen, wie Finn wohl aussieht, wenn man ihn nicht schon zig Jahre kennt. Dass er mittelgroß ist, habe ich schon erwähnt, auch die rötlichblonden Haare. Ein erträgliches Maß an Sommersprossen – nun, das muss man mögen. Hässlich ist er nicht, auch
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