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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Dalinger
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wenn ich seine Zähne etwas zu groß finde. Ich glaube, er kann Schlagzeug spielen – hat Michael ihn nicht in die Musikgruppe eingeteilt? Optisch passt er gar nicht so schlecht zu Tine. Und wie sie ist er schon seit Jahren hier in der Gemeinde, von den Babyschuhen an, und hat sich schon als Kind dafür entschieden, mit Gott zu leben. Trotzdem wundere ich mich, denn ich habe früher gar nicht gemerkt, dass er auf Tine steht oder sie auf ihn.
    »Jetzt gehen wir in die Gruppen«, verkündet Michael, der von dem ganzen Unheil, das sich hier zusammenbraut, gar nichts mitbekommt.
    Ich hätte nicht hier aufkreuzen sollen, das weiß ich jetzt. Wie soll ich meine Mitstreiter zum Theaterspielen bringen, wenn sie an ganz andere Dinge denken?
    Basti mit hochrotem Kopf und düsterem Gesicht. Tine, so verlegen, dass ich ihr dazu gratulieren sollte, dass sie nicht in Ohnmacht fällt. Sonja blickt irritiert von einem zum anderen und packt tapfer ihre Zettel aus, auf denen sie die Dialoge ausgedruckt hat.
    »Ich hab’s schon kopiert. Vielleicht, wenn wir in verteilten Rollen ...?« Ihre eigene Aufregung, wie wir ihr Werk finden, überlagert alles andere. Sie ist zum ersten Mal als Schriftstellerin in Aktion getreten und hat eine Scheißangst vor Kritik.
    Tine und Basti reißen sich zusammen. Die Stimmung ist gedrückt und angespannt, aber wir fangen trotzdem an, die erste Szene zu lesen.
    »Was?«, ruft Tine, in der Rolle des Hohenpriesters meine Idealbesetzung. »Jesus ist verschwunden? Konntet ihr nicht besser aufpassen?«
    »Äh, das war ein Wunder«, liest Basti vor. »Es ist vor unseren Augen ... geschehen?«
    Da reißt jemand die Tür auf. Es ist Finn. »Das ist nicht wahr, oder?«, fragt er. »Ihr lasst diesen Schläger mitmachen? Bei einem christlichen Stück? Wie soll denn die Botschaft die Zuhörer erreichen, wenn nicht jeder der Spieler vom Geist erfüllt ist? Gerade du solltest es besser wissen, Miriam.«
    Plötzlich angegriffen, erschrecke ich und weiß erst einmal gar nicht, wie ich reagieren soll. Schon steht Finn im Zimmer.
    »Ich übernehme das«, sagt er und reißt Basti die Zettel aus der Hand.
    Ich hätte es kommen sehen sollen, aber vielleicht ist es immer noch der Schock wegen Daniels Rede heute Morgen, jedenfalls sitze ich nur da wie gelähmt, als Bastian langsam aufsteht. Er ist einen Kopf größer als Finn, und sein Gesicht hat etwas unübersehbar Bedrohliches.
    Finn scheint es nicht zu bemerken. »Du kannst aber gerne zugucken«, sagt er betont freundlich.
    Bastian fehlen die Worte. Er reagiert ganz instinktiv. Seine Faust schießt vor, wie in Zeitlupe sehe ich sie auf Finns Kinn zusteuern. Dann fliegen Tröpfchen von Blut und Spucke durch die Gegend und Finn kippt nach hinten.
    Eine oscarwürdige Leistung. Ich glaub, ich bin im falschen Film.
    Tine kreischt wie am Spieß. Ich hätte der sonst so stolzen, aufrechten Tine gar nicht so einen Gefühlsausbruch zugetraut. »Was tust du denn da?«, schreit sie.
    »Er soll dich nicht anfassen«, sagt Basti. »Ich hab doch gesehen, dass du das nicht magst.«
    Sie beachtet ihn gar nicht, als sie sich neben Finn auf den Teppich kniet. Durch die offene Tür kommen die anderen Hopis gerannt, Michael ruft: »Oh mein Gott, was ist denn hier los!«
    »Tja, das war’s dann wohl.« Auf einmal ist Bastian bloß noch ein trauriger junger Mann, der hier nichts verloren hat. Er drängt sich durch die Gaffer, ein paar weichen von ihm zurück, als hätte er eine ansteckende Krankheit, die Tollwut oder so.
    Finn ächzt dramatisch und blickt Tine, die sich über ihn beugt, in die Augen. »Siehst du«, flüstert er. »Ich hab’s gesagt, habe ich doch, oder?«
    Sie beißt sich auf die Lippen. Michael bittet sie zur Seite, um dem Verletzten Erste Hilfe zu leisten. Wie sich herausstellt, reicht eine kühle Kompresse.
    Üben werden wir wohl heute nicht mehr. Sonja ist bleich wie die Wand, sie hat die Geschichte wohl mehr mitgenommen als mich. Aber ich hab, was Prügeleien angeht, auch etwas mehr Erfahrung als sie.
    »Das war wie im Film«, flüstert sie. Offenbar ist die Anzahl möglicher Kommentare in so einem Fall begrenzt.
    Ich suche nach Daniel unter den Zuschauern und kann ihn nicht finden.
    Tine bringt Finn ein Glas Wasser.
    »Tja, den Platz im Team hab ich mir redlich erkämpft, was?«, scherzt er und verzieht schmerzhaft das Gesicht.
    Erkämpft? Ich finde, er hat sich überhaupt nichts erkämpft. Er hat ja nicht mal zurückgeschlagen. Er ist zu Boden gegangen wie ein nasser

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