Narzissen und Chilipralinen - Roman
hat.«
»So blöd ist sie nicht«, widersprach Finn heftig. »Sie würde sich niemals mit einem Unbekannten treffen.«
»Klugheit schützt leider nicht vor lebensgefährlichen Dummheiten«, fand Michael.
»Sie hatte mich!«, rief Finn. »Davon hätte sie mir erzählt.«
»Es bringt nichts, stundenlang darüber zu diskutieren.« Als Leiter beendete Michael die fruchtlose Debatte. »Wir können nicht die Arbeit der Polizei übernehmen, aber genauso wenig ist mir danach, einfach die Hände in den Schoß zu legen. Wer sich bei Tines Freundinnen erkundigen möchte, bitte melden.« Er nickte ein paar Mädchen zu. »Gut. Wir anderen teilen uns auf und suchen in der Stadt. Später können wir uns wieder hier treffen.«
Daniel und Miriam gingen hinaus auf den Parkplatz.
»Was denkst du wirklich?«, fragte sie.
Er zögerte. »Ich glaube eigentlich nicht, dass sie das geplant hat. Sie hatte Finn. Seitdem ist sie so ... aufgeblüht, wie eine ganz andere Person. So voller Selbstbewusstsein, sie hat richtig gestrahlt. Warum hätte sie sich noch mit jemand anders einlassen sollen?«
»Wirklich? Sie hat gestrahlt?« Miriam suchte nach Worten. »Ich fand sie ehrlich gesagt noch unleidlicher als früher. Sie hat es mir gegenüber richtig raushängen lassen, dass sie jetzt auch endlich einen Freund hat.« Sie seufzte. »Sie hat mir ein paar ziemlich gemeine Sachen gesagt. Hoffentlich denkt niemand, dass ich sie deswegen um die Ecke gebracht habe.«
»Warum sollte das irgendjemand denken?«
»Oder dass ich sie eingeschüchtert, bedroht, erpresst oder sonst was habe. Womöglich in den Tod getrieben. Hast du nicht gemerkt, wie die anderen mich angeguckt haben?«
»Mir ist nichts aufgefallen. Wir sind alle nervös und angespannt.«
»Kommt ihr?« Michael und die anderen zogen los.
Es drängte Daniel danach, etwas zu unternehmen, aber Miriam hielt seine Hand fest, und so schüttelte er bloß den Kopf. »Geht ruhig schon mal.«
»Ich glaube nicht, dass Finn mich dabei haben will«, meinte sie leise.
»Unsinn. Er hat garantiert nichts dagegen, wenn du mithilfst, Tine zu finden. Es geht immer noch um den Streit mit ihr, stimmt’s?«
Alle wussten davon. Und solange Tine nicht leibhaftig erschien und versicherte, dass die Auseinandersetzung nach der Aufführung überhaupt nichts mit ihrem Verschwinden zu tun hatte, würden sie genau das denken.
»Ich möchte trotzdem etwas tun«, sagte sie leise. »Oder gerade deswegen. Aber ...«
»Was?«
»Ich fürchte, es wird dir nicht gefallen. Ich glaube nicht, dass sie bei einer Freundin ist.«
»Sondern?«, hakte er nach.
»Bei Basti. Ich glaube, sie ist bei Bastian.«
13.
Es kann nicht meinetwegen sein, dass Tine verschwunden ist. Das glaube ich einfach nicht. Nein, das will ich nicht glauben.
Da ist mir, als würde Gott mir leicht auf die Schulter klopfen. So leicht, dass es kaum zu spüren ist. Nicht alles passiert deinetwegen, Miriam, flüstert er mir ins Ohr. Für mich bist du unendlich wichtig, aber gibt Tine wirklich so viel auf deine Meinung?
Ich muss lächeln und bin etwas getröstet. So schlimm war unser Streit nun wirklich nicht. Aus diesem Grund würde niemand weglaufen oder sich umbringen oder sonst etwas Dummes tun.
Sie hat gestrahlt, hat Daniel gesagt. Das stimmt. Ja, anfangs schon. Ich weiß noch genau: Auf unserer Schlittenfahrt, auf der Finn sich verletzt hat, war sie wie ausgewechselt. Sie hat sogar ein bisschen geflirtet, wenn ich mich recht erinnere.
Nein, nicht mit Finn. Ich war von seiner Verletzung abgelenkt, so wie wir alle.
»Mit Basti«, sage ich zu Daniel. »Sie hat mit Basti geflirtet. Sie ist mit ihm Schlitten gefahren. Da begann ihr Strahlen. Wenn ich es mir recht überlege, ist es damit später immer weniger geworden. Stattdessen wurde sie bloß nervöser und streitlustiger. Nein, es war jener Tag im Schnee, als sie sich verwandelt hat. Jemand hat sie gesehen, und da wurde sie plötzlich schön. Er hat das in ihr ausgelöst.«
»Dann gehen wir Basti besuchen«, sagt Daniel.
Er weiß, wo Basti wohnt. In einer ziemlich schäbigen Gegend. Die Häuser sind heruntergekommen, die Gärten stehen voller Gerümpel, falls es überhaupt Gärten gibt. Aber selbst hier ist der Frühling eingezogen. Löwenzahn blüht tapfer in den Bordsteinritzen. Eine Hummel brummt schaukelnd an mir vorbei, schwerfällig wie ein betrunkener Matrose. Das Haus, an dem Daniel klingelt, ist grau. Putz blättert von den Wänden. An den Briefkästen stehen viele Namen, viele
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