Narzissen und Chilipralinen - Roman
davon kaum leserlich. Vielleicht wollen die Leute hier lieber keine Post bekommen.
Das muss sein Bruder sein, der uns öffnet. Er ist jünger als Basti und hat trotzdem schon so ein gefährliches Funkeln in den Augen.
»Ist Bastian ...«, fange ich an, aber er unterbricht mich sofort.
»Heute wollen wohl alle was von dem. Bist du seine Freundin?« Er scannt mich von oben bis unten. Dann fällt sein Blick auf Daniel, als hätte er ihn gerade erst bemerkt. Daniel ist ja auch nahezu unsichtbar, nicht wahr?
Die reden wohl nicht ganz viel miteinander in dieser Familie, wenn der Typ nicht mal weiß, dass sein Bruder solo ist.
»Können wir mit ihm reden?«, fragt Daniel.
Plötzlich geht mir ein Licht auf, wen der Junge mit »alle« meinen könnte. »War die Polizei schon da?«
»Ja«, knurrt er. »War sie. Aber Basti nicht.«
»Weißt du, wo wir ihn finden?«, will Daniel wissen. Ein leicht aggressiver Unterton schwingt in seiner Stimme mit, und auf einmal bin ich wirklich froh, ihn an meiner Seite zu haben.
Bastians Bruder checkt mich ein zweites Mal ab und verneint.
»Vielen Dank auch«, sagt Daniel, ohne dabei dankbar zu klingen.
Wir gehen zu unseren Rädern zurück.
»Basti ist also auch verschwunden«, sagt er, ernsthaft beunruhigt. »Im Moment verschwinden etwas zu viele Leute für meinen Geschmack.«
»Das spricht für meine Theorie, findest du nicht?«
»Dass die Polizei Bastian überprüfen will, muss nicht unbedingt was heißen«, gibt er zu bedenken. »Das tun sie bestimmt bei allen, die Tine kennen, und bestimmt hat jemand ihnen erzählt, dass er ein paar Monate lang zum
Life and Hope
gegangen ist.«
»Warum ist er bloß nicht da? Sein Bruder hätte ihn ja anrufen und nach Hause bestellen können.«
»Der? Der war ja nicht gerade hilfsbereit.«
Bastian ist weg. Was bedeutet das? Dass er untergetaucht ist? Am Ende zusammen mit Tine?
Auf dem Rückweg machen wir Halt im Park und setzen uns auf eine Bank. Keiner von uns will jetzt schon nach Hause.
Besorgt schüttelt Daniel den Kopf und beißt sich auf die Lippen. »Basti hat schon mal jemanden fast umgebracht.« Er sagt es so, als wäre nicht er selbst derjenige gewesen, sondern irgendein anderer, den wir nicht kennen. »Er ist leicht reizbar ... und dann die Sache mit Finn.«
»Das war harmlos. Finn hat ihn provoziert.«
»Eine Schlägerei in der Kirche ist nicht harmlos. Und jemand wie Basti darf sich nicht provozieren lassen. Er hatte Glück, dass man ihn nicht in den Knast geworfen hat. Nur weil es ihm so schrecklich leid getan hat und weil der Jugendrichter ihm noch eine Chance geben wollte, ist er überhaupt auf freiem Fuß. Dass Basti Finn verprügelt hat, war wirklich das Dümmste, was er tun konnte.«
»Es war bloß ein Kinnhaken.« Ich war schließlich dabei.
»Finn hätte ihn anzeigen können.« Daniel zerrupft unglücklich einen harmlosen Zweig. »Was ich damit sagen will: Wenn etwas Schlimmes passiert und Basti ist in der Nähe, ist er automatisch der Hauptverdächtige. Dass er jetzt nicht zu Hause ist ... dadurch sieht es noch übler für ihn aus. Er hat schon mal ein Verbrechen für ein Mädchen begangen. Wenn er hinter Tine her war ... Möglicherweise werden sie glauben, dass er dazu fähig ist, eine Dummheit zu begehen, wenn er abgewiesen wird.«
»Sie hat ihn ja auch abgewiesen«, sage ich und halte mir hastig die Hand vor den Mund. Ich denke an den Basti, der die Herzschachtel in den Papierkorb gepfeffert hat und fliehen wollte. Wütend und verletzt.
»Sag das nicht«, flüstert Daniel erschrocken.
»Doch«, sage ich. »Aber danach ist er einfach weggeblieben.«
Noch während ich es ausspreche, fällt mir ein, dass das nicht stimmt. Basti wollte abhauen, aber ich habe ihn aufgehalten. Ich habe ihn mit rein in die Gruppe genommen, und an diesem Abend hat er Finn geschlagen. Anscheinend ist Basti doch nicht jemand, der still und weinend davonschleicht, wenn er einen Korb erhält. Er war wie ein brodelndes Fass voller Zorn und Enttäuschung, und die Entladung hat Finn abgekriegt.
»Glaubst du, man kann jemanden wirklich kennen?«, frage ich. »So gut, dass man für ihn die Hand ins Feuer legen würde?« Würde ich das? Für einen Jungen, der damit aufgewachsen ist, dass Gewalt die beste Lösung für alle Probleme ist?
»Ich weiß nicht«, sagt Daniel leise. »Ich glaube schon. Jedenfalls will ich an meine Freunde glauben.«
»Aber manchmal tun Menschen Dinge, mit denen sie selbst nicht gerechnet haben.«
»Bastian hat
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