Narzissen und Chilipralinen - Roman
bis Daniel und Michael zurück sind – mit der Info, wo Bastian ist? Ich wollte sie gerne übertrumpfen, ein wenig damit angeben, dass ich ihn vor ihnen finden kann, aber jetzt scheint mir das nicht mehr so genial.
Wen kann ich anrufen? Ich bräuchte jemanden mit Auto, der wäre ruckzuck hier.
Bevor ich mich selbst davon abhalten kann, wähle ich Tom an. Ich könnte nicht mal sagen, warum ich seine Nummer gespeichert hab. Aber mir ist dermaßen mulmig zumute, dass ich mich riesig freue, seine Stimme zu hören.
»Hi, Messie«, meldet er sich gut gelaunt. »Rufst du an, um mich zu erlösen?«
»Erlösen? Wovon?«
»Ich lerne schon den ganzen Tag für die Abiklausuren«, vertraut er mir an. »Mir ist schon ganz schwummerig im Kopf.«
»Du bist nicht zufällig betrunken?«, erkundige ich mich vorsichtshalber.
»Nein, ganz zufällig nicht. Aber die Idee ist gut. Alkohol tötet alle überflüssigen Gehirnzellen ab, und diejenigen, die übrigbleiben, enthalten das ganze Abiwissen, das ich dann nur noch abrufen muss.«
»Kannst du an den Aubach kommen?« Ich erkläre ihm kurz, dass ich nach Basti suchen wollte und plötzlich Schiss gekriegt habe. Komischerweise ist es mir nicht mal peinlich.
»Bin sofort da. Pünktlich wie die Feuerwehr.«
Ungeduldig gehe ich am Ufer auf und ab und schlage schließlich schon mal den Weg zum Lagerhaus ein. Tom weiß ja, wo er mich findet. Dass Verstärkung unterwegs ist, macht mich selbstsicherer. Mutiger. Entschlossen schreite ich aus.
Da ist schon das alte Lagerhaus. Das Schild, das einem das Betreten untersagt, hängt nur noch an einem Nagel. Ich stoße die Tür auf, die schief in den Angeln hängt, und spähe ins Innere. Seit jener schrecklichen Nacht bin ich nicht wieder hier gewesen. Mir ist, als würde ich ein Stöhnen hören, ein Gurgeln, während das Wasser steigt, und der Regen trommelt immer noch aufs Dach ...
Ich schüttele die Bilder ab und konzentriere mich auf das, was ich tatsächlich sehe. Es ist hell. Goldenes Frühlingslicht fällt durch blinde, staubverkrustete Fensterscheiben und kommt gedämpft unten an. Zwischen meterhohen Bergen aus alten Regalen, Brettern, Eisenteilen. Dazwischen Täler der Dunkelheit. Staubteilchen flirren in der Luft. Auf dem Boden liegen zerbrochene Flaschen und Kippen.
»Hallo?« Ich wage mich ein paar Schritte von der Tür weg, obwohl mich der Gedanke an einen Psychopathen, der aus einer Ecke springen könnte, nicht loslässt. »Basti? Bist du hier?«
Stille.
»War eine blöde Idee«, murmele ich. Ich will nur noch nach Hause. Sollen andere nach verschwundenen Jugendlichen suchen, das ist schließlich nicht meine Aufgabe. Wie peinlich. Nachher denkt Tom noch, ich hätte ihn bloß herbestellt, um mit ihm hier allein zu sein.
»Messie?« Die Stimme hallt in dem Gewölbe. Es kommt so plötzlich, dass ich zusammenzucke. »Bist du allein?«
Bastian tritt hinter einem Stapel alter Paletten hervor. Er sieht völlig fertig aus, zerknittert, dunkle Ringe unter den Augen.
»Was machst du denn hier?«, entfährt es mir. Obwohl ich ihn gesucht habe, bin ich einigermaßen verblüfft, dass er tatsächlich hier ist. »Geht es dir gut?«
»Was willst du?«, will er wissen und tritt näher. Wenn ich ihn nicht so gut kennen würde, könnte sein Auftritt mir Angst einjagen. Es ist weder seine Größe noch seine Statur, es sind seine Augen. So sieht jemand aus, der nichts mehr zu verlieren hat. Auf einmal bin ich mir nicht sicher, ob ich diesen Jungen wirklich kenne. Vielleicht ist er zu allem fähig. Selbst zu Dingen, die er später bereut.
Ich tue unbekümmert, während ich auf ihn zugehe. Nur keine Angst zeigen, das würde ihm den Rest geben. Wer weiß, was er dann tut? Außerdem ist Tom bestimmt gleich da. »Ich habe dich gesucht«, sage ich. »Hast du etwa hier geschlafen? Mist, ich hab gar nichts zu essen dabei. Wenn ich gewusst hätte ...«
»Ich hab noch was, danke.« Er ist wachsam und misstrauisch. Wir schätzen uns gegenseitig ab, jeder scheint erraten zu wollen, was er vom anderen zu erwarten hat. Da Bastian schweigt, ist es an mir zu reden.
»Ist Tine auch hier?«, frage ich. »Ihre Eltern machen sich solche Sorgen um sie.«
»Du glaubst, sie ist bei mir?«, fragt er wütend. »Dass ich ihr was getan hab?«
»Nein«, sage ich rasch. »Dass ihr zusammen abgehauen seid, das hab ich gedacht. Wenn du es genau wissen willst, ich bin hergefahren, um euch die Sache wieder auszureden und euch zu bitten, wieder
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