Narzissen und Chilipralinen - Roman
Tabita einen fragenden Blick zu. »Was wird das? Ein Kindergartenausflug?«
»Enttäuscht?«, fragt Tabita, wie immer nicht auf den Mund gefallen. »Hast du gehofft, du würdest mit ihr allein sein? Ihr brecht ja auch nur bei Finn ein, um ein Zimmer zu haben, wo ihr ungestört allein sein könnt, was?«
Tom schüttelt sprachlos den Kopf und startet den Motor. Während er den Wagen durch die Stadt lenkt, gehen wir unseren Plan noch mal durch.
»Ihr spinnt«, bemerkt meine Schwester. »Ihr seid ja so was von absolut verrückt, dass man Mitleid kriegen könnte.«
Tom wirft ihr einen verwunderten Blick zu, denn er ist es gewöhnt, dass alle jungen Mädchen schmachtend zu ihm aufsehen und zu allem, was er von sich gibt, ja und amen sagen.
Nun, wir werden sehen, ob unser Plan was taugt oder ob wir improvisieren müssen.
»Wie wollt ihr das denn zu zweit durchziehen? Ihr hättet mich von Anfang an gebraucht. Außerdem seht ihr total verdächtig aus und ich«, sie lächelt reizend, »ich sehe total lieb aus.«
Die Eingangstür war schon beim letzten Mal, als Daniel und ich hier waren, nicht abgeschlossen. Ich hatte darauf spekuliert, dass sie es diesmal auch nicht sein würde, doch hier müssen wir schon nachbessern: Die Tür ist so was von zu, dass auch Beten nicht hilft. Zeit für Plan B.
Da drücke ich einen der Klingelknöpfe, irgendeinen, und als jemand »Wer da?« schnarrt, beuge ich mich vor und spreche ins Mikro. »Das Päckchen ist da.«
»Ich hab keins bestellt.«
Ja, weiß ich auch. »Aber die Erlmeyers über ihnen schon, und da öffnet keiner. Würden Sie mir bitte aufmachen, damit ich es bei denen vor die Tür legen kann?«
Ein Summen verrät, dass die Tür jetzt offen ist. Hastig drücke ich dagegen, und wir treten ins Treppenhaus. Ob Schnarrstimme jetzt wohl aus seiner Wohnung späht, um zu überprüfen, ob ich tatsächlich ein Päckchen mitbringe? Das runde Glasauge in jeder Wohnungstür starrt uns feindselig an. Was würde ein neugieriger Nachbar sehen? Eine junge, dunkel gekleidete Frau mit platinblonden Haaren und einem Klemmbrett unter dem Arm. Sie trägt einen mit Klebeband umwickelten Karton. Sie ist allein. Denn die beiden anderen kommen erst hoch, als das Licht ausgegangen ist, bis dahin warten sie unten und schleichen dann im Dunkeln hinter mir her. Doch selbst wenn jemand die beiden sehen würde, allzu verdächtig sehen sie nicht aus. Den jungen Mann könnte man für einen Studenten halten, der hergekommen ist, um seine Eltern anzupumpen. Und das blonde Mädchen mit den lockigen Haaren hüpft die Stufen hinauf, um eine Freundin zu besuchen. Eigentlich schon etwas spät dafür, draußen wird es gerade dunkel.
Schon stehen wir vor der Tür der Erlmeyers. Ich stelle das Paket ab. Von hier aus führt die Treppe noch ein weiteres Stockwerk hinauf, zum Dachboden. Tabita bleibt auf der untersten Stufe sitzen, während Tom und ich hinaufsteigen. Die nächste Tür ist offen. In der Wäschekammer ist es dunkelgrau wie in einer Regenwolke. Die Wäscheleinen, die sich wie ein gewaltiges Spinnennetz quer durch den Raum ziehen, sind nur zu erkennen, weil weiß leuchtende Wäsche daran hängt. Handtücher und Unterhemden. Gespenstisch. Eine Waschmaschine rumpelt leise.
Tom packt unsere Ausrüstung aus. Wir spinnen vielleicht, aber wir sind nicht lebensmüde. Bevor wir auf dem Dach herumklettern, sichern wir uns ab. Tom hat ein paar Freunde, die klettern, und von denen hat er sich Sicherungsgurte und Seile ausgeliehen. Ich steige in den Gurt. Das haben wir zu Hause schon mal geübt, daher weiß ich genau, was ich zu tun habe. Auf die Darth-Vader-Maske verzichte ich allerdings, da Tabita es mir verboten hat. Bleibt also nur zu hoffen, dass uns niemand entdeckt oder gar erkennt.
Tom öffnet das Dachfenster und hebt mich hinauf. Ich ziehe mich mit beiden Armen höher und bin auf dem Dach. Das Seil muss natürlich noch gesichert werden, dafür kommt mir der Mast der Satellitenanlage gerade recht. Ich schlinge es darum und hake es fest, so wie Tom es mir gezeigt hat. Fertig.
Die Dachziegel sind kühl. Grüne Flechten wachsen darauf. Es sind nur zwei, drei Meter zur Kante. Von hier aus sieht es aus, als würde es dahinter steil nach unten abfallen, ins Nichts. Die Dunkelheit sinkt jetzt schnell über die Häuser, die Straßenlaternen unten spenden trübes Licht. Wenn man vorsichtig näherkriecht, sieht man den Balkon direkt unter der Dachschräge.
Tom klettert nach mir geschmeidig aus dem Fenster. Als er
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