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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Dalinger
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erklären, aber der unschuldige Geburtstagskuss wirkt viel stärker auf mich als der zweite, weniger unschuldige Kuss.
    Versonnen krame ich in meinem Zettelhaufen, den ich bei meiner Aufräumaktion unters Bett geschoben habe. Bei mir könnte sich hier jedenfalls niemand verstecken. Wo habe ich nur ... wenn ich alles noch schön verteilt auf dem Teppich hätte, würde ich es viel schneller finden.
    Ich hoffe bloß, ich mache nicht zu viel Lärm.
    Da ist es, endlich. Das Stück, das wir zu Ostern aufgeführt haben. Mit den Streichungen und Anmerkungen, die Finn durchgeführt hat.
    Das einzige Beispiel seiner Handschrift, das mir zur Verfügung steht. Ich vergleiche es mit der Kopie eines Briefes. Manchmal fühle ich mich nahezu genial – ich habe natürlich alle kopiert, bevor Finn sie zurückbekommen hat. Daniel weiß nichts davon, das muss mir irgendwie aus dem Gedächtnis gerutscht sein. Diese Zettel muss ich nicht suchen, denn ich habe sie in einer Zeitschrift versteckt, die ich ... wühl, kram ... hier habe. Bingo.
    Damit krieche ich ins Bett und starre auf die gekritzelten Buchstaben, bis mir die Augen zufallen.
    Es ist nicht dieselbe Schrift. Solange ich auch hinschaue, sie wird davon nicht ähnlicher.

19.
    »He, Schlafmütze!« Tabita stürmt in mein Zimmer. »Aufstehen! Sonst fahren die ohne dich ab!«
    Ich schlafe gar nicht. Ich liege in meinem Bett und bin tot. »Verschwinde.«
    Tabita scannt meine Unordnung und betrachtet vor allem den Kleiderhaufen vor meinem Bett.
    »Du warst gestern noch weg. Wissen Mama und Papa das?«
    »Du sagst kein Wort«, knurre ich. »Ich streite es sowieso ab.«
    »Wann bist du nach Hause gekommen?«
    Sie muss immer alles ganz genau wissen. Es macht sie glücklich, über alles die Kontrolle zu haben. Vielleicht wird sie mal Polizistin oder Lehrerin. Unlängst habe ich in der Zeitung gelesen, dass es Leute glücklich macht, andere zu bestrafen. Ist wissenschaftlich erwiesen. Tabita ist schon zufrieden, wenn sie damit drohen kann.
    »Geht dich nichts an.«
    »Falsche Antwort. Eine Chance hast du noch.«
    »Na gut. Um vier. Jetzt zufrieden?«
    Meine Eltern sollten sich um mich echt keine Sorgen machen. Tabita passt schon auf mich auf und sagt mir, wenn ich es übertreibe.
    »Mit wem warst du weg?«
    »Frag mich nicht aus. Ich hab’s eilig.« Ich falle fast auf die Nase, als ich mich aus den Decken wühle. »Mist, das schaffe ich nie!«
    »Aber mit wem ...«
    »Halt endlich die Klappe!«, fahre ich sie an. »Musst du mir immer hinterherschnüffeln? Ich hasse das!« Beleidigt zieht sie ab. Na endlich. Morgens bin ich lieber für mich. Ich bin immer unausstehlich, wenn ich zu wenig geschlafen habe.
    Warum wollte ich noch mal Kanu fahren? Ach ja. Um Spaß mit den Hopis zu haben. Um mit Daniel zusammen zu sein. Um mit Sonja zu lachen und Finn aufzumuntern. Er ist unschuldig. Es ist wirklich nicht seine Schrift, also stimmt die Geschichte, die er über Michael und Sonja erzählt hat. Da sollte ich mir wohl endlich mal Mühe geben, ihn für die ganzen Verdächtigungen zu entschädigen. Ich werde mit Sonja sprechen, unbedingt. Heute mache ich mal alles richtig. Ich kläre die offenen Fragen. Dann ist Tine zwar immer noch verschwunden, aber es ist nicht meine Aufgabe, sie zu finden. Ich muss loslassen. Diesen verzweifelten Wunsch, die Wahrheit herauszufinden. Ich bin bloß Miriam Weynard, seit gestern siebzehn Jahre alt, und kann nicht die ganze Welt retten. Stattdessen muss ich anfangen, den Menschen in meiner Umgebung zu vertrauen, statt mir wilde Geschichten auszudenken, auf Dächern herumzuklettern und Tom zu küssen.
    Ich bin siebzehn und ein neuer Mensch.
    Am Ufer herrscht ein Lärm wie im Freibad. Alle rufen und schreien durcheinander, aufgeregt wie kleine Kinder.
    Sonja stürzt sich auf mich und umarmt mich. »Gleich geht’s los! Wollen wir ins gleiche Kanu? Ich hab das noch nie gemacht. Hast du Ersatzklamotten mit?«
    »Klar«, sage ich und verstaue meinen Rucksack in der großen weißen Plastiktonne, die in jedes Boot kommt. Da ist auch mein Proviant drin. Da ich keine Zeit zum Frühstücken hatte, kriege ich jetzt schon allmählich Hunger.
    Ich suche nach Daniel. Er hilft gerade mit, die Boote aus dem Anhänger zu laden. Zusammen mit Michael. Wenigstens ist Michael kein Mörder. Das zumindest weiß ich jetzt gewiss. Alles andere geht mich nichts an.
    Oh meine Sonne
... Werde ich ihn je wieder als den supersympathischen Goliath sehen können? Denn sofort fallen mir die Briefe

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