Naschkatze
Klienten diskret zu behandeln.« Über dem Rauschen in meinen Ohren höre ich Robertas Stimme nur undeutlich. »Ich habe Sie schon einmal gewarnt. Jetzt bleibt mir nichts anders übrig, als Ihnen fristlos zu kündigen.«
Blinzelnd schaue ich von der Zeitung auf. Weil mir Tränen in die Augen steigen, muss ich noch heftiger blinzeln. »Sie feuern mich?«, flüstere ich.
»Tut mir leid, Lizzie.« Und Roberta sieht tatsächlich so aus, als meinte sie das ernst. Das hilft mir. Irgendwie. »Aber wir haben darüber gesprochen. Ich werde Ihnen den letzten Gehaltscheck sofort schicken. Jetzt brauche ich nur noch den Büroschlüssel. Dann wird Raphael Sie nach unten bringen.«
Meine Wangen brennen. Mit bebenden Fingern wühle ich in meiner Handtasche, ziehe den Büroschlüssel heraus und lege ihn auf Robertas Schreibtisch. Fieberhaft suche ich in meinem Gehirn nach einer Antwort auf die Anklage, die gegen mich erhoben wird. Aber mir fällt nichts ein. Klar, sie hat mich gewarnt. Und ich habe nicht auf sie gehört.
Dafür muss ich jetzt den Preis bezahlen.
»Leben Sie wohl, Lizzie«, sagt Roberta, nicht unfreundlich.
»Bye...« Nur die Speicheltropfen auf meinen Lippen – vermischt mit den Tränen, die ungehindert über mein Gesicht strömen – halten mich davon ab, noch mehr zu sagen. Eine Hand auf meinem Ellbogen führt Raphael mich durch den Korridor zu den Aufzügen, an den Büros vorbei. Alle starren mich an. Zumindest glaube ich das. So genau sehe ich’s nicht, weil ich blind vor Tränen bin. Dann fahren wir zur Eingangshalle hinab – schweigend, weil noch andere Fahrgäste in der Liftkabine stehen.
Im Erdgeschoss angekommen, führt Raphael mich durch die Halle, weil ich noch immer nichts sehen kann. An der Tür bleibt er stehen und sagt ein einziges Wort zu mir. »Mist.«
Danach wendet er sich ab und kehrt zur Sicherheitskontrolle zurück.
Ich stoße die Tür auf und trete in die bittere Kälte Manhattans hinaus. Wohin ich gehe, weiß ich ehrlich nicht. Wohin kann ich gehen? Ich habe keinen Job, bald kein Dach mehr über dem Kopf und keinen Freund. Und das ist nun wirklich der Gipfel, nachdem ich soeben gefeuert worden bin und keine Wohnung habe. Ich fühle mich elend. Genauso muss es auch Kathy Pennebaker zumute gewesen sein, als sie schließlich zugegeben hat, New York City, diese riesige, hektische, glitzernde Stadt – habe sie zu Brei zermalmt und wieder nach Hause geschickt.
Zu Weihnachten habe ich Kathy gesehen, daheim in Ann Abor. Im Supermarkt. Da hat sie einen Einkaufswagen herumgeschoben. So verloren sah sie aus, so erschöpft, dass ich sie kaum wiedererkannte.
Werde ich eines Tages auch so aussehen, habe ich überlegt, als ich mich hinter den Nüssen und Trockenfrüchten versteckte
und sie anstarrte. Wird’s mir egal sein, was die Leute von mir denken? Werde ich in einem formlosen Formel- 1-Shirt und einer kurzen Cargohose (im Winter!) einkaufen gehen? Werde ich mit einem Kerl zusammen sein, dessen Schnurrbart ganz gelb vor Nikotin ist? Der so viele Hustenbonbons hortet, dass er davon diese Monsterdroge Crystal Meth fürs Wochenende mixen kann? Werde ich jemals tatsächlich Radieschen kaufen? Ich meine, für einen Salat? Oder nur als Garnitur?
Das alles habe ich mich an jenem Tag gefragt. Und als ich jetzt die Straße entlangstolpere, das Gesicht voller Tränen, und im Schneematsch unter meinen Füßen beinahe ausrutsche, wird mir plötzlich etwas klar.
Nicht weil ich plötzlich vor dem Rockefeller Center stehe, vor der Eislaufbahn und der goldenen Statue eines Mannes, der wie eine Ikone des New York City-Images daliegt, mit dem gigantischen funkelnden Weihnachtsbaum dahinter. Nein, sage ich mir. So werde ich nicht sein, niemals . Ich werde niemals in der Öffentlichkeit Cargohosen tragen. Niemals einen Freund mit gelbem Schnurrbart haben. Und Radieschen sind nur gut auf Tacos.
Ich bin nicht Kathy Pennebaker. Und ich werde niemals Kathy Pennebaker sein. NIEMALS.
Ermutigt drehe ich mich um und versuche ein Taxi heranzuwinken. Das schaffe ich schon beim ersten Versuch! Beim Rock Center! Ein Wunder! Ich nenne dem Fahrer die Adresse von Monsieur Henri.
Als der Wagen vor dem Laden hält, öffne ich meine Börse und finde kein Bargeld darin. Nur den Zehn-Dollar-Schein, den Grandma mir geschenkt hat. Habe ich eine Wahl? Ich drücke dem Taxifahrer den Schein in die Hand
und sage ihm, er soll das Wechselgeld behalten. Dann stürme ich in den Laden, wo Monsieur und Madame Henri über dem Journal
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