Naschkatze
Abschiedsbrief beim Pförtner hinterlegt, weil sie gerade Urlaub in Cancún macht. Dass ich ausgezogen bin, weiß sie noch gar nicht. Sogar vor dem Renoir-Mädchen habe ich gestanden und mich liebevoll verabschiedet. Hoffentlich weiß Lukes nächste Freundin – wer immer das sein mag – dieses Bild zu schätzen.
»Ja, bin mir sicher, Chaz«, antworte ich. »Das war alles.«
»Dann bringe ich jetzt das Auto zurück. Sonst kriege ich Ärger mit dem Feiertagsparkverbot.«
»Oh... Okay.« Beinahe hätte ich vergessen, dass heute Silvester ist. In ein paar Stunden werde ich zu Jills Hochzeit gehen. Und da fällt mir was ein. »Was machst du heute Abend? Ich meine, Luke ist verreist und Shari – nun ja – bei Pat. Hast du irgendwelche Pläne?«
»Im Honey’s gibt’s eine Party.« Lässig zuckt er die Achseln. »Da werde ich wahrscheinlich rumhängen.«
»Willst du den Silvesterabend in einer Karaoke-Bar mit lauter fremden Leuten verbringen?«, frage ich ungläubig.
»Das sind keine Fremden«, protestiert er gekränkt. »Der Zwerg mit dem Zauberstab, die Barkeeperin, die dauernd ihren Freund anschreit... Die sind meine Familie, wie auch immer sie heißen.«
Impulsiv packe ich seinen Arm. »Hast du einen Smoking, Chaz?«
Und so stehe ich neun Stunden später neben Chaz im großen Ballsaal des Plaza Hotels (jetzt Plaza Luxury Condominiums), ein Glas Champagner in der einen, in der anderen Hand die Unterarmtasche, die zur rosa Seide meines Jacques Fath-Abendkleids aus den Fünfzigerjahren passt. Soeben steigt Jill Higgins, jetzt Mrs. MacDowell, auf das Klavier, um den Brautstrauß in die Gästeschar zu werfen.
»Los, gib mir das Zeug«, sagt Chaz. »Geh nach vorn.«
»Oh«, murmele ich. Ursprünglich hatte ich vor, den Hochzeitsempfang früh zu verlassen. Ich wollte nur sichergehen, dass Jills Kleid perfekt aussieht (tut es), und sehen, wie die Augen ihrer Schwiegermutter beim Anblick der Braut aus ihren Höhlen quellen (ist passiert). Irgendwie fand ich’s unangenehm, an einer Hochzeitsfeier teilzunehmen, auf der ich nur das Brautpaar kenne. Und die beiden kümmern sich an ihrem großen Tag natürlich vor allem um Verwandte und Freunde. Aber dann habe ich mich trotz meiner Bedenken köstlich amüsiert. Außerdem hat Chaz erklärt, er würde auf keinen Fall vor zwölf Uhr nach Hause gehen. (»Ich ziehe doch keine Affenkluft an, um in Jeans zu schlüpfen, ehe die Uhr zwölf Mal schlägt.«) Und er hatte völlig recht. Jills Freunde aus dem Zoo waren zum Schreien komisch und genauso deplatziert wie ich – und Johns Freunde nicht annähernd so versnobt, wie ich befürchtet hatte, ganz im Gegenteil. Die einzige Person,
die keine so fröhlichen Stunden erlebte, war Johns Mutter. Offenbar hing das mit Anna Wintours Kommentar zusammen, Jills Kleid sei »raffiniert«.
Raffiniert. Die Vogue -Chefin hat mein Werk raffiniert genannt.
Was mich nicht sonderlich überrascht. Genauso würde ich dieses fabelhafte Brautkleid auch beschreiben.
Eins steht jedenfalls fest – die Presse wird Jill nie mehr »Robbenspeck« nennen. Und das scheint Johns Mutter zu deprimieren, so sehr, dass sie jetzt an der Tafel des Brautpaars sitzt, den Kopf in eine Hand stützt und fürsorgliche Kellner verscheucht, die ihr immer wieder Eiswasser und Aspirin bringen.
»Aufgepasst!«, ruft Jill vom Klavier herunter. »Wer den Strauß fängt, ist die nächste Braut!«
»Geh schon, Lizzie!«, drängt Chaz. »Ich halte deine Tasche fest.«
»Verlier sie nicht! Da steckt mein Nähzeug für Notfälle drin.«
»Du redest wie eine Krankenschwester«, meint er belustigt. »Nein, ich werde die Tasche nicht verlieren. Geh endlich!«
Ich laufe nach vorn, zu den Brautjungfern und den Tierpflegerinnen, die sich vor dem Klavier versammelt haben. Leicht verwirrt überlege ich, dass Chaz eine sehr gute Figur macht, für jemanden, der normalerweise nur Jeans und Baseballkappen trägt. Als er mich aus meiner Wohnung abgeholt und in seiner »Affenkluft« vor der Tür gestanden hat, ist mir fast das Herz stehen geblieben.
Aber im Smoking sehen alle Männer gut aus.
»Okay!«, ruft Jill. »Nun werde ich mich langsam herumdrehen,
damit’s auch wirklich mit rechten Dingen zugeht. Alles klar?«
Ich mische mich unter die anderen Mädchen, und Jill entdeckt mich. Lächelnd zwinkert sie mir zu. Was soll denn das heißen?
»Eins«, ruft sie.
»HIER!«, kreischt die Frau an meiner Seite, in der ich eine der anderen Robbenpflegerinnen erkenne. »WIRF DEN STRAUSS
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