Naschkatze
sie auf eine der Ledercouchs sinkt, wähle ich Mr. Pendergasts Anschluss.
»Da ist Jill Higgins, für ihren 9-Uhr-Termin bei Mr. Pendergast«,
informiere ich Esther, Mr. Pendergasts attraktive, etwa vierzigjährige Assistentin, die vor einer Weile hier gewesen ist, um Bekanntschaft mit mir zu schließen.
»Scheiße«, stöhnt Esther, »er ist noch nicht da. Ich komme sofort.«
Als ich auflege, stößt Tiffany meine Schulter an. »Wissen Sie, wer das ist?«, wispert sie und deutet mit dem Kinn auf die junge Frau.
»Ja«, flüstere ich zurück, »sie hat ihren Namen genannt – Jill Higgins.«
»Ja, aber wissen Sie, wer Jill Higgins ist?«
Ich zucke die Achseln. Klar, das Gesicht der jungen Frau kommt mir bekannt vor. Aber sie kann kein Film- oder Fernsehstar sein, dafür ist sie zu dick.
»Nein«, hauche ich.
»Jill Higgins wird den reichsten Junggesellen New Yorks heiraten«, zischt Tiffany, »nämlich John MacDowell. Seine Familie besitzt mehr Manhattan-Immobilien als die katholische Kirche. Und der hat früher fast alles gehört …«
Interessiert spähe ich zu Jill Higgins hinüber. »Das Mädchen, das im Zoo arbeitet?«, flüstere ich und erinnere mich an den Artikel in der Klatschspalte. »Die Frau, die eine gestrandete Robbe hochgehoben und sich dabei den Rücken verletzt hat?«
»Genau«, bestätigt Tiffany. »Die MacDowell-Familie will sie zwingen, einen Ehevertrag zu unterschreiben, damit sie bei einer Scheidung keinen Cent kriegt, es sei denn, sie produziert einen Erben. Aber der Bräutigam möchte ihre Rechte schützen. Deshalb hat er Pendergast, Loughlin and Flynn engagiert.«
»Oh! Das finde ich schrecklich traurig. Jill Higgins sieht so nett und normal aus! Wie kann man bloß glauben, sie hätte es nur auf das Geld ihres Verlobten abgesehen? Ist das nicht süß von ihm? Ich meine, dass John MacDowell Anwälte für seine Braut anheuert.«
»O ja«, grunzt Tiffany. »Wahrscheinlich macht er’s nur, damit sie später, wenn alles schiefgeht, nicht behauptet, sie wäre reingelegt worden.«
Nach meiner Ansicht klingt das furchtbar zynisch. Aber was weiß ich denn schon? Das ist mein erster Tag in dieser Kanzlei, und Tiffany arbeitet schon seit zwei Jahren hier. So lange hat’s angeblich noch keine Telefonistin bei Pendergast, Loughlin and Flynn ausgehalten.
»Haben Sie gehört, wie sie genannt wird?«, flötet Tiffany.
»Von wem?«
»Von der Presse. Wie sie Jill nennt?«
Verständnislos starre ich sie an. »Nicht einfach nur Jill?«
»Nein – ›Robbenspeck‹. Weil sie mit Seehunden arbeitet und diesen Bauch hat.«
»Wie gemein!« Entrüstet runzle ich die Stirn.
»Außerdem nennt man sie Heulsuse.« Tiffany scheint sich köstlich zu amüsieren. »Weil sie in Tränen ausgebrochen ist, als ein Reporter sie gefragt hat, ob sie sich nicht unsicher fühlt, wo doch so viele Frauen, die besser aussehen als sie, ganz scharf auf ihren Verlobten sind.«
»Wie grauenhaft!« Ich schaue wieder zu Jill hinüber. Für jemanden, der das alles durchmachen muss, wirkt sie bemerkenswert gelassen. Nur der Himmel weiß, wie ich in einer solchen Situation reagieren würde. Vermutlich würde
die Presse mich »Niagara« nennen. Weil ich gar nicht mehr aufhören würde zu heulen.
»Oh, Miss Higgins!« Esther erscheint in der Halle, todschick in einem Kostüm mit Hahnentrittmuster. »Wie geht es Ihnen? Begleiten Sie mich? Mr. Pendergast hat sich ein bisschen verspätet. Aber ich habe Kaffee für Sie bestellt. Mit Sahne und Zucker, nicht wahr?«
Lächelnd steht Jill Higgins auf. »Ja, danke«, antwortet sie und folgt Esther in den Flur, der zu den Büros führt. »Wie nett von Ihnen, dass Sie sich daran erinnern!«
Sobald die beiden außer Hörweite sind, schnauft Tiffany und beginnt ihre Fingernägel zu lackieren. »So reich dieser MacDowell auch sein mag... Und – ja, okay, sie kann ihren Job im Zoo aufgeben und muss diesen grässlichen Robben keine Fische mehr zuwerfen. Aber in diese Familie würde ich nur für zwanzig Millionen einheiraten. Und sie kann von Glück reden, wenn sie ein paar Hunderttausend sieht.«
»Oh...« Eigentlich müsste Tiffany Schauspielerin werden, mit diesem Flair für Dramatik. »So schlimm können die MacDowells doch gar nicht sein.«
»Machen Sie Witze?« Höhnisch verdreht Tiffany die Augen. »John MacDowells Mom ist eine richtige Schreckschraube. Wenn’s um die Hochzeitsvorbereitungen geht, hat das arme Mädchen überhaupt nichts zu sagen. Natürlich ergibt das einen
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