Naschkatze
erklärt. (Nein, wirklich. So heißt sie. Zuerst habe ich gedacht, sie hätte das erfunden. Aber als sie nach hinten in die Hightech-Küche gegangen war, um Kaffee für uns zu holen, spähte ich in die Schubladen an beiden Seiten des Schreibtischs. Und da sah ich außer Nagellacken in zwanzig verschiedenen Farben und etwa dreißig verschiedenen Lippenstiften ein paar Abrisse von Gehaltsschecks. Darauf stand tatsächlich, in Schwarz auf Rosa, der Name »Tiffany Dawn Sawyer«.
»Okay«, sagt Tiffany. Wenn sie nicht am Empfang von Pendergast, Loughlin and Flynn sitzt, arbeitet sie angeblich als Model.
Das glaube ich, denn ihr Teint ist so klar und glatt wie Porzellan, ihr Haar ein glänzender schulterlanger Vorhang in Goldbraun. Außerdem ist sie etwa eins achtzig groß
und sieht aus, als würde sie nur hundertzwanzig Pfund wiegen, insbesondere nach dem üppigen Frühstück, das sie gerade auf Kosten von Pendergast, Loughlin and Flynn genießt – schwarzen Kaffee und eine Packung Fruchtgummibonbons mit Kirschgeschmack.
»Also...«, beginnt sie, die sorgsam geschminkten Augen unter schweren Lidern (wegen der »zu vielen Mojitos« gestern Abend, wie sie mir bereits gestanden hat, und weil sie immer noch »total fertig« ist). »Wenn Sie einen Anruf kriegen, fragen Sie, wer am Apparat ist, und bitten ihn zu warten. Dann drücken Sie auf die Weiterleitungstaste und wählen die Nummer des gewünschten Gesprächspartners. Wenn der sagt, er will mit dem Anrufer reden, drücken Sie auf die Verbindungstaste. Falls er’s nicht will oder sich nicht meldet, wählen Sie die Leitung des Anrufers und fragen, ob Sie eine Nachricht entgegennehmen sollen.«
Tiffany holt tief Luft.
»Ja, ich weiß, das klingt ziemlich kompliziert. Deshalb haben sie mich gebeten, heute Morgen herzukommen, bei Ihnen zu sitzen und dafür zu sorgen, dass Sie’s kapieren. Nur keine Panik.«
Ich studiere die zweiseitige getippte Liste der Nebenanschlüsse, die Roberta von der Personalabteilung hilfreicherweise auf Buchseitengröße verkleinert und in eine Klarsichthülle gesteckt hat, damit ich sie nicht beschmutzen oder zerreißen kann. Darauf stehen über hundert Namen. »Weiterleitungstaste, Nebenanschluss, sagen, wer anruft, verbinden oder Nachricht entgegennehmen.«
Erstaunt reißt Tiffany die meerblauen Augen auf. »Sehr gut, Sie haben’s gecheckt! O Gott, ich hab eine Woche dafür gebraucht.«
»Nun, es ist wirklich schwierig«, sage ich, weil ich ihre Gefühle nicht verletzen will. Sie hat mir bereits ihre Lebensgeschichte erzählt. Gleich nach der Highschool, vor vier Jahren, ist sie von ihrer Heimatstadt in North Dakota hierhergezogen, um zu modeln. Seither hat sie für diverse Druck-Erzeugnisse gearbeitet, zum Beispiel für den Herbstkatalog von Nordstrom. Nun lebt sie mit einem Fotografen zusammen, den sie in einer Bar kennengelernt und der ihr tolle Aufträge versprochen hat. »Der ist verheiratet, mit einem grässlichen Biest. Leider kann er sich nicht scheiden lassen, weil ihm die Einwanderungsbehörde im Nacken sitzt. Er stammt aus Argentinien, und er muss noch eine Weile so tun, als wäre seine Ehe mit der Amerikanerin okay. Solange er die Miete für ihr Apartment in Chelsea bezahlt, behauptet sie, er würde bei ihr wohnen. In Wirklichkeit lebt sie mit ihrem Personal Trainer zusammen. Wenn mein Freund seine Greencard bekommt, ist’s damit vorbei. Dann heiratet er mich.« Natürlich will ich nicht, dass sie sich mies fühlt, weil sie nur ein Highschool-Diplom hat und ich einen College-Abschluss habe (nun ja, so gut wie) und etwas schneller von Begriff bin. »Sehr schwierig«, bekräftige ich.
»Ooooh, ein Anruf!«, verkündet sie, als das Telefon leise zirpt. Dieses Klingeln wird in den Büros von Pendergast, Loughlin and Flynn extrem leise geschaltet, damit sich die Partner nicht ärgern, die laut Tiffany wahnsinnig nervös sind (wegen ihrer langen Arbeitszeiten und anstrengenden Jobs), oder die Klienten, die genauso nervös sind (wegen der enormen Honorare, die sie für den juristischen Beistand von Pendergast, Loughlin and Flynn zahlen). »Legen Sie los, so wie ich’s Ihnen erklärt habe.«
Zuversichtlich nehme ich den Hörer ab. »Pendergast, Loughlin and Flynn. Was kann ich für Sie tun?«
»Wer ist denn da dran, zum Teufel?«, bellt der Mann am anderen Ende der Leitung.
»Lizzie«, stelle ich mich so freundlich wie möglich vor, trotz seines rüden Tons.
»Sind Sie von der Zeitarbeitsvermittlung?«
»Nein, Sir, ich bin
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