Naschkatze
glaubst, du kannst es besser«, sagt er jetzt und schiebt das Gesangbuch über den Tisch zu Shari hinüber, »warum versuchst du’s nicht mal?«
Angewidert starrt sie den schwarzen Einband an. »Weil ich kein Karaoke mache«, erklärt sie frostig.
»Hm – wenn ich mich recht entsinne, war das früher anders.« Lukes dunkle Augenbrauen wackeln. »Zumindest auf einer gewissen Hochzeit...«
»Das war ein besonderer Anlass«, erwidert sie mürrisch. »Damals wollte ich dieser Plaudertasche neben mir einen Gefallen tun.«
Plaudertasche?
Ich blinzle.
Klar, es stimmt. Aber so langsam bessere ich mich. Wirklich. Keiner Menschenseele habe ich von meiner Begegnung mit Jill Higgins erzählt. Und ich verheimliche Luke, dass der Liebhaber seiner Mutter (falls er das ist, was ich allmählich vermute) schon wieder in ihrem Apartment angerufen hat. Wenn’s um sensationelle Informationen geht, schweige ich wie ein Grab.
Trotzdem beschließe ich, meiner Freundin zu verzeihen. Immerhin habe ich sie im Stich gelassen. »Komm schon, Shari.« Ich greife nach dem Gesangbuch. »Jetzt suche ich was Lustiges aus, das wir singen können. Einverstanden?«
»Ohne mich. Ich bin ich zu müde.«
»Für Karaoke ist man nie zu müde«, meint Chaz. »Du musst nur da oben stehen und den Text vom Teleprompter ablesen.«
»Ich bin zu müde«, wiederholt Shari halsstarrig.
»Hör mal, irgendjemand muss jetzt da raufgehen und
singen«, sagt Luke. »Sonst wird Frodo eine weitere Ballade vortragen. Und dann schneide ich mir die Pulsadern auf.«
Mittlerweile habe ich angefangen, im Gesangbuch zu blättern. »Okay, ich mach’s. Um meinen Freund vor dem Selbstmord zu bewahren.«
»Danke, Schätzchen.« Luke zwinkert mir zu. »Verdammt nett von dir.«
Ich habe einen geeigneten Song gefunden und schreibe den Titel auf den Zettel, den man der Kellnerin geben muss, wenn man singen will. »Aber ihr beide tretet auch auf, Luke und Chaz.«
Ernsthaft schaut Chaz in Lukes Augen. »›Wanted Dead or Alive‹?«
Luke schüttelt energisch den Kopf. »Ausgeschlossen.«
»Doch!«, bedränge ich ihn. »Wenn ich mich opfere, müsst ihr Jungs auch...«
»Nein«, fällt er mir ins Wort und beginnt zu lachen. »Ich mache kein Karaoke.«
»Davor darfst du dich nicht drücken, sonst müssen wir noch mehr davon ertragen.« Stöhnend zeige ich auf ein paar kichernde, etwa zwanzigjährige Mädchen. Mit glitzernden Penis-Halsketten und entgleisten, vom Alkohol geröteten Gesichtszügen bekunden sie, dass sie eine Junggesellinnenparty feiern. Als wäre es nicht schon genug, dass sie »Summer Lovin« aus »Grease« ins Mikrofon kreischen.
»Klar, die machen Karaoke zum Gespött«, bekräftigt Chaz und spricht »Karaoke« mit der korrekten japanischen Betonung aus.
»Noch eine Runde?«, fragt die Kellnerin, die ein zauberhaftes
Mandarinkleid aus roter Seide und einen nicht ganz so zauberhaften Metallstift in der Unterlippe trägt.
»Vier Bier«, antworte ich und halte ihr zwei Zettel hin. »Und zwei Songs, bitte.«
»Für mich nicht.« Shari hält ihre fast volle Bierflasche hoch. »Mir reicht’s.«
Die Kellnerin nickt und nimmt die beiden Zettel. »Also, nur drei Bier«, murmelt sie und geht davon.
»Wieso zwei Songs, Lizzie?«, fragt Luke argwöhnisch. »Hast du etwa...?«
»Ich will dich singen hören, dass du ein Cowboy bist...« Unschuldig reiße ich die Augen auf. »...und auf einem stählernen Pferd reitest...«
»Ach, du...« Seine Mundwinkel zucken, als er seinen Lachreiz bekämpft. Dann greift er nach mir.
Aber ich drücke mich an Shari, die mich erbost abschüttelt. »Hört auf!«
»Rette mich!«, flehe ich.
»Im Ernst. Hört auf.«
»Komm schon, Share!« Ich lache sie an. Was stimmt denn nicht mit ihr? Früher hat’s ihr Spaß gemacht, in Kneipen herumzualbern. »Sing mit mir.«
»Du nervst.«
»Sing mit mir«, bitte ich. »Um der alten Zeiten willen.«
»Steh auf.« Shari schiebt mich zum Ende der Bank, auf der wir sitzen. »Ich muss mal.«
»Nein, ich stehe nur auf, wenn du mit mir singst.«
Da gießt sie mir ihr Bier über den Kopf.
Später, auf der Toilette, entschuldigt sie sich bei mir. Total zerknirscht. »Es tut mir so leid«, schnieft sie und beobachtet,
wie ich meinen Kopf unter den Haartrockner halte. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
»Schon gut.« Über dem rauschenden Lärm des Föhns höre ich ihre Stimme kaum. »Wirklich, es ist okay.«
»Ist es nicht! Ich bin einfach schrecklich!«
»Unsinn, das
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