Naschmarkt
Du … WAS ?« Der Schrei ist laut genug, dass ich den Moment nutzen kann, um den Klodeckel zuzuklappen und mich mit angezogenen Beinen daraufzusetzen. Gespannt halte ich den Atem an. Sorina Loos wimmert leise.
»Das ha… ha… hast du nicht.«
Meine Chefin und ihre Affäre. Ebenfalls ein noch ungelöstes Rätsel. Die Damentoilette als moderner Ort der geheimen Kommunikation.
Ein Name, denke ich, wenn sie einen Namen sagt, hätte ich sie in der Hand. Lieber Gott, mach, dass sie ihn nicht nur Knuffelhase nennt.
»Du Arschloch!«
Auch nicht besser.
»Ja? Weißt du, was du mich mal kannst, beziehungsweise nie mehr wirst? NEIN, ICH BERUHIGE MICH JETZT BESTIMMT NICHT. DRECKSACK!«
Mit einem lauten Knall fliegt das Handy auf den Boden, schlittert auf den glatten Fliesen unter der Trennwand hindurch und landet ausgerechnet neben meiner Kloschüssel.
»Scheiße«, flucht meine Chefin nebenan und schneuzt sich geräuschvoll. Zehn Sekunden später taucht eine Hand mit rotlackierten Fingernägeln unter der Trennwand auf. Ich halte den Atem an. Jetzt bloß keine falsche Bewegung! Die Hand tastet den Boden ab, doch sie erreicht das Gerät nicht. Mir klopft das Herz bis zum Hals. Die Hand zieht sich zurück, aber offensichtlich nur, um in ihrer Kabine den Riegel zurückzuschieben.
In dem Moment hat Dottis Kopfkino einen Blockbuster zu bieten: Ich höre klappernde Stöckelschuhschritte bedrohlich näher kommen. Ich sehe den Schatten meiner Chefin, der auf die Fliesen fällt. Und ich nehme, von Angstschweiß überströmt, wahr, wie der Schatten den Arm ausstreckt, um die Tür zu meiner Kabine zu öffnen.
Dann geht alles rasend schnell. Die Tür wird mit einem lauten Quietschen aufgestoßen, doch davor steht nicht Sorina Loos, sondern eine überdimensional große Herzkönigin mit einem riesigen Maul voller Fangzähne. Sie lacht dröhnend, während Geifer aus ihren Mundwinkeln tropft. Mit ausgestreckten, manikürten Fingern kommt sie auf mich zu und reißt das Maul sperrangelweit auf, um mich mit einem Satz aufzufressen …
Kopf ab!
Ich kneife die Augen fest zu, als eine Tür quietscht, doch es ist nicht die meiner Kabine! Jemand betritt summend das Damenklo.
»Ach, Frau Treu«, höre ich die Stimme der Loos.
Leni Treu, die Kulturredakteurin, stößt einen spitzen Schrei aus.
»Frau Loos, ich habe Sie gar nicht …«
»Wieder mal ein Klobesuch mit Handy? Den Liebsten anrufen? Ihn fragen, was er am Abend essen will oder ob der Prosecco schon gekühlt ist?« Sorina Loos dreht den Wasserhahn auf.
Ich spüre die vertraute Wut im Bauch. Hockt selbst jammernd mit dem Mobilfunkgerät auf dem Topf und lässt ihren Frust an den Kolleginnen aus, die zufällig glücklich sind. Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, strecke ich das Bein aus und schiebe das Handy mit dem Fuß Richtung Klotür, so dass es von außen sichtbar sein muss.
»Ein Ehering am Finger und ein dämliches Foto auf dem Schreibtisch geben einem noch lange nicht das Recht, während der Arbeitszeit Privatgespräche zu führen, merken Sie sich das.«
Wer auch immer die Regie in der Realityshow namens »Leben« führt, beweist in dieser Sekunde Humor. Denn gerade als die Loos zu einer weiteren Standpauke ansetzt, beginnt ihr Handy auf den Fliesen wie wild zu vibrieren, und eine männliche Popstimme verkündet, dass Supergirls nicht weinen. Ich kneife die Augen zusammen, um den Anrufer auf dem Display entziffern zu können. Vielleicht ist es ihr Liebhaber, der sie um Verzeihung bittet.
Nein, es ist jemand namens
Olivia.
»Ist das Ihres?«, höre ich Leni Treu fragen. Sie bemüht sich nicht einmal, den hämischen Unterton zu verbergen. Die Hand mit den rotlackierten Nägeln hebt das Supergirljaulende Ding auf. Kurz bleibt die Loos direkt vor meiner Kabine stehen. Ein paar bange Sekunden lang bin ich mir sicher, dass mich der Herzköniginnentod doch noch ereilen wird, als sie ohne ein weiteres Wort die Damentoilette verlässt.
»Blöde Ziege«, kommentiert Leni leise.
Warum, zum Teufel, spielen sich die monumentalen Dramen eines Frauenlebens stets auf den Fliesen, die die Welt bedeuten, ab? Ich betätige die Klospülung, öffne die Tür, nicke meiner Kollegin, die mich anstarrt, als wäre ich das Phantom des Orkus, freundlich zu und stelle mich neben sie ans Waschbecken. Mir ist da nämlich eine Idee gekommen, die funktionieren könnte.
»Leni, würdest du mir einen großen Gefallen tun?« Ich reiche ihr das Fax mit der handgeschriebenen Notiz. »Mein
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