Naschmarkt
einem Riesenkrawall. Die Kameras sind auf die eisblonde Frau gerichtet, die ihr Hühnchen im Arm trägt, als wäre es eine Birkin-Tasche. Froschmaul in der ersten Reihe wirkt angespannt, und auch mein Magen zieht sich vor Nervosität zusammen. Ich versuche, mir vorzustellen, wie das Hühnchen aus seiner Handtaschenstarre erwacht, über Kleidermanns Kopf flattert und im Flug – genau darüber – ein Ei legt, doch selbst mein Kopfkino ruckelt heute nur irritiert.
Äußerst routiniert in solchen Dingen wickelt die Kleidermann ihren Auftritt professionell ab, wird ihre Henne ohne Aufruhr los und sieht sogar kniend noch aus, als stünde sie auf einem Marmorsockel. Nichts an ihrem souveränen Äußeren verrät etwas darüber, was ich vor wenigen Minuten abseits des Scheinwerferlichts beobachtet habe. Elegant schlägt sie ihre langen Beine in dem Stuhl zur Linken des Königs übereinander.
»Die zweite Bittstellerin ist Beatrice Kleidermann, ebenfalls Journalistin beim
Österreichboten
und – das darf ich so sagen – die First Lady der österreichischen Society.«
»Sie dürfen, Majestät«, antwortet die First Lady ungefragt. Reifenstein strahlt sie an, als wäre nicht nur ihr Kostüm, sondern sie selbst aus Bronze.
»Also sind Sie eigentlich Kolleginnen.« Sein Blick pendelt lauernd zwischen uns hin und her.
»Nur, was den Arbeitgeber betrifft«, antwortet die Kleidermann mit einem schmallippigen Lächeln in meine Richtung. »Unsere Arbeitsfelder sind sehr verschieden.«
»Wie auch Ihre Ansichten«, hakt der König geschickt ein. »Sie haben in Ihren Artikeln der letzten Wochen unterschiedliche Einstellungen zum Thema Familie und Singles bewiesen. Der Ausdruck Mauerblümchen stammt doch ursprünglich von Ihnen, nicht wahr, Untertanin Kleidermann? Sie haben ihn in einer Glosse in Zusammenhang mit dem – ich zitiere –
biologisch unnatürlichen Zustand der Kinder- und Partnerlosigkeit
erwähnt. Das Mauerblümchensyndrom nannten Sie es, glaube ich.«
»Ganz richtig«, sagt Kleidermann und sieht dabei aus, als hätte sie Froschmauls Mückenschwarm mit Insektenspray vernichtet. »Es gibt keine freiwilligen Singles. Mauerblümchen sind Menschen, die nicht fähig sind zu lieben und in weiterer Folge auch von niemandem geliebt werden. Primäres Ziel des Menschen ist es, eine Familie zu gründen. Allein ist nur, wer noch keinen Partner gefunden hat. Die Behauptung, dass das eine freiwillig gewählte Lebensweise oder gar eine Form der Selbstverwirklichung ist, ist völliger Unsinn. So reden sich Übriggebliebene ihr Schicksal schön.«
Ein erstes Raunen geht durchs Publikum. Ein schneller Blick zeigt mir, dass auf vielen Gesichtern Ablehnung zu lesen ist.
»Darum bin ich auch dafür, über die Einführung einer Kinderlosensteuer nachzudenken, wie sie deutsche Politiker unlängst vorgeschlagen haben. Die Negierung der Familie ist purer Egoismus, der einen Einsturz des sozialen Systems zur Folge haben wird. Es ist nur recht und billig, dass die Egozentriker für ihre Extravaganzen zur Kasse gebeten werden.«
Ein einzelner lauter »Buh«-Ruf von irgendwo aus den hinteren Reihen der Zuschauer sorgt dafür, dass die Unruhe größer wird. Reifenstein bemerkt den Umschwung und wendet sich sofort an seinen Assistenten.
»Kanzler, gibt es schon Anfragen aus dem royalen Netz?«
»Jawohl, Eure Majestät. Gerade kam eine interessante Frage über Twitter herein, von Untertanin @louisamiller. Sie möchte gern wissen, wie man dem Mauerblümchenclub beitreten kann.«
»Untertanin Wilcek«, sagt Reifenstein, »Sie haben in einem Ihrer Blog-Einträge dazu aufgerufen, eine Art Club zu gründen, wo sich Mauerblümchen dabei unterstützen, gegen Benachteiligungen vorzugehen. Daraus hat sich mittlerweile eine Plattform mit mehr als zwanzigtausend Mitgliedern entwickelt. Können Sie dem Volk erklären, wie es dazu kam und was in dieser Richtung weiter geplant ist?«
Ramy nickt mir aufmunternd zu. Das ist die Gelegenheit, auf die er gewartet hat, die große Chance, für unser Anliegen zu kämpfen. Doch warum habe ich das Gefühl, am total falschen Ort zu sein? Warum kreist mein Kopf um eine andere, wichtigere Frage? Wer ist djfleming?
Seit meinem gestrigen Blog-Eintrag kam kein Tweet. Egal, wie oft ich meinen Account auf neue Botschaften überprüfe, es findet sich keine von ihm. Was, zum Teufel, ist los mit mir?
»Untertanin Wilcek?«
Ertappt blicke ich auf und sehe ein triumphierendes Lächeln in Kleidermanns Gesicht.
»Der
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