Naschmarkt
ein.
»Klopapier ist auch Papier«, sagt jemand weiter vorne.
»Klopapier verstopft aber keine Toilette, ich meine, sonst wäre es ja wohl nicht zu diesem Zweck erfunden worden.«
»In Griechenland«, meldet sich wieder die Hippiefrau zu Wort, »ist das Abwassersystem derart veraltet, dass man nicht mal Klopapier in die Toilette werfen darf. Man muss es in einen Kübel …«
»Iiiih, wie eklig ist das denn?«, schimpft die Blondine und hält sich ihre knochige Hand vor den Mund.
»Wärt ihr so freundlich, das
Scheißthema
jetzt fallenzulassen? Ich muss eh schon so dringend.«
»Ich muss gar nicht«, rufe ich, um mir inmitten der Diskussion Gehör zu verschaffen.
»Und warum stellst du dich dann in die Schlange, du Intelligenzbestie?«, meint die Blondine und wendet sich von mir ab. Ich genieße einen hübschen Kopfkinokurzfilm, in dem ich meinen Degen ziehe und, statt ihr einen Tritt in den Hintern zu geben, ihr ein scharfes »D« in selbigen ritze. Anschließend stürme ich in die Toilette im
EIGHT
,
als wäre ich Bruce Lee auf dem Weg zur Begegnung mit der Todeskralle.
Ironischerweise passieren einem solche Dinge stets, wenn man es ganz furchtbar eilig hat. Noch nie habe ich irgendwo im Stau gestanden oder in der Schlange vor dem Bankschalter, wenn ich danach keinen wichtigen Termin hatte. Murphys Gesetz. So gähnend leer das
EIGHT
vor drei Stunden war, so voll ist es jetzt. An der Bar drängeln sich die Durstigen und vor dem einzigen WC jene, deren Durst bereits gestillt ist.
»… auf dem Klo?«
»Wie bitte?«
Ich war zu tief in Gedanken, um den ersten Teil des Satzes mitzubekommen.
»Ich habe gefragt«, sagt die Blondine extra langsam, als ob ich bescheuert wäre, »was du denn auf dem Klo willst, wenn du nicht Pipi machen musst.«
Es gibt tatsächlich Frauen, die
Pipi machen
sagen?
»An der Klotür hängt ein Handzettel, den ich brauche.«
»Ein Handzettel?«
»Ja, diese Veranstaltungsplakate, Flyer, Flugblätter, du weißt schon.«
Sie verdreht demonstrativ die Augen.
»Ich
weiß,
was Handzettel sind. Nur weil ich blond bin, bin ich noch lange nicht blöd, klar? Aber warum stellst du dich vor dem Klo an, wenn das ganze Lokal voller Handzettel ist?«
»Es geht um einen bestimmten Handzettel.«
Die Blondine sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Ich überlege, ob ich sie darauf hinweisen soll, dass man davon Falten kriegt, als sich ihr Gesicht plötzlich aufhellt.
»Bist du eine von denen?«
»Eine von welchen?«
»Von den Schreibern natürlich. Letztens habe ich ein Buch drüber gelesen.«
Meine sorgfältig durchdachte Klischeevorstellung von einer Blondine bekommt Sprünge.
»Es ging um diese Organisation, die im Auftrag von Menschen Liebesbotschaften für ihre Liebsten hinterlässt. Kupplinger, Kuppenrath, Kuppernik oder so ähnlich.«
»
KUPPITSCHEK
.
« Mein Hals ist auf einmal schrecklich trocken, so dass meine Antwort mehr wie ein heiseres Flüstern klingt.
»Ja, genau,
KUPPITSCHEK
Spezialservices.
Genial, oder? Man bestellt dort Post für andere, nur eben nicht per E-Mail und Brief, sondern ganz ungewöhnlich, in Bäume geritzt, an Wände gemalt, in Glückskeksen. Megaabgefahren. Die Schreiber führen den Auftrag aus, und innerhalb von vierundzwanzig Stunden hat man die perfekte Liebesbotschaft. Ich wünschte echt, jemand würde das für mich …«
»Welches Buch?«, unterbreche ich die Blondine.
»Wie war noch mal der Titel? Ich merk mir Namen und Buchtitel so schlecht, sorry. Aber es ist dieses bekannte, von dem alle reden, du weißt schon.«
Nein, ich weiß nicht. Ich bin Literaturrezensentin bei einer der größten Tageszeitungen des Landes, und die magere Blondine in der Kloschlange kennt im Gegensatz zu mir das Buch, über das alle reden. Plus, sie checkt, was es mit
KUPPITSCHEK
Spezialservices
auf sich hat.
Ich fürchte, ich bin im falschen Film, beziehungsweise in der falschen Geschichte.
»Verzeihung, tut mir leid, darf ich mal?«
Ohne auf die empörten Ausrufe der wartenden Damen zu achten, dränge ich mich an ihnen vorbei. Die Hippiefrau stellt sich mir breitbeinig wie ein Westernheld in den Weg, doch es gelingt mir, sie zur Seite zu schieben. Ich bin der Lösung meines Rätsels so nahe, da lasse ich mich bestimmt nicht von der versammelten Pinkleria Wiens davon abhalten. Endlich habe ich es geschafft und die Schlange überholt. In einem letzten Kraftakt schließe ich die Klotür vor ihren wutverzerrten Gesichtern, um den Handzettel lesen zu können, der zum
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