Naschmarkt
Manipulation, Samenbank und künstlicher Intelligenz ist es doch nur noch ein winziger Schritt bis zur artifiziellen Liebesbeziehung. Amor adapto: Instantglück mit mathematischer Wahrscheinlichkeit, clean, easy und stornierbar.
Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen, sagte Theodor W. Adorno. Ist es wirklich von Bedeutung, ob jemand in unser Leben passt? Ist dieses Billy-Denken nicht furchtbar deprimierend? Welche große, phantastische Geschichte hat je mit den Worten geendet: Und wenn sie nicht gestorben ist, klickt sie noch heute?
Was wäre mit der Option, das Haus dem Regal anzupassen und einen Raum zu schaffen, bei dem die Ecken und Kanten Platz haben?
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Samstag, 26 . November
»Dotti-
mou!
«
Stella, die gleich neben der Tür steht, begrüßt mich mit einer schwungvollen Umarmung, kaum dass ich das Messingäffchen losgelassen habe. Erstaunt sehe ich mich um. Das
Pies & Pages
ist blitzblank geputzt und geschmückt wie sonst nur zu Weihnachten. Herbstlich rote sowie gelbe Blätter sind auf den Tischen verstreut, in kleinen Schalen glänzen tiefbraune Kastanien, die ich so liebe, und an den Wänden rankt sich herrlich leuchtendes Weinlaub. Eine entzückende Lichterkette aus verschiedenfarbigen Mini-Lampions ist von der Verkaufstheke bis zu den Bücherregalen und wieder zurück gespannt. Sie taucht den Raum in warmes, freundliches Licht, das den nasskalten Novembertag aussperrt.
Heimelig sieht es aus, wie aus einem Katalog für englische Inneneinrichtung. Am erstaunlichsten aber ist die Menschenmenge, die sich im Lokal versammelt hat und in kleinen Grüppchen jeden einzelnen Sitzplatz belegt. Das Stimmengewirr ist leiser geworden, einige der Besucher sehen erwartungsvoll zu mir herüber.
»Was ist hier los?«, frage ich Stella.
»Der Groucho Club öffnet seine Pforten«, antwortet eine vertraute Stimme hinter mir.
»Ramy!«
Ich drehe mich zu dem Radiomoderator um, der – wenn das möglich ist – noch perfekter aussieht als sonst. Seine Nase ist vollständig verheilt, sein dunkles Haar ist frisch geschnitten sowie in Ken-Form gebracht, die Wangen sind glattrasiert, und er trägt einen eleganten Anzug statt der üblichen Motorradkluft. Der Zusammenbruch von Nimmer-Nimmer-Land scheint keine bleibenden Spuren hinterlassen zu haben. Von einem Ohr zum anderen grinsend nimmt er mich in den Arm und drückt mir Küsschen auf die Backen.
»Äh, Ramy, wegen neulich …«
Ich merke, wie sich meine Wangen erhitzen.
»Schwamm drüber«, antwortet er, was Stella, wie ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, ein zufriedenes Lächeln entlockt. Meinen Freundinnen habe ich die Geschichte natürlich brühwarm bei einer am Mittwoch einberufenen Notfalldamenrunde geschildert. Stella war besonders interessiert an Ramys körperlichen Vorzügen, während Christine nur stumm den Kopf schüttelte und Rita versöhnt in ihren Prosecco kicherte.
»Jedem sein Cevapcici«, kommentierte sie meine Schilderungen mit schelmischem Grinsen. Einzig Miki sagte kaum etwas und hielt den Blick gesenkt.
Ich sehe mich nach ihr um, doch in der Menschenmasse ist die kleine Japanerin nicht zu finden.
»Könntet ihr mich bitte mal aufklären? Was machen all die Leute hier? Und wo ist meine Mutter?«
Ich entdecke Lady Lydia schließlich selbst, wie sie sich mit einem Tablett voller Gurkensandwiches bewaffnet durch die Menge bewegt. Sie hat ihr schickstes Kostüm an, das violette mit den Perlmuttknöpfen, das dank ihrer seit dreißig Jahren unverändert schlanken Figur wie angegossen sitzt. Eine passende violette Blume steckt in ihrem Haar. Noch hat sie mich nicht bemerkt, sondern unterhält sich angeregt mit Evelyn Scherkovski, der schreibenden Zahnärztin, und Frau Stipsits, die zur Feier des Tages ein kleines blaues Hütchen auf den adretten weißen Löckchen trägt. Hinter der Theke an der Kasse entdecke ich Katharina, die meiner Mutter beim Verkauf aushilft. Alle scheinen versammelt.
»Überraschung!«, flüstert mir Ramy ins Ohr und zwinkert verschwörerisch. Stella, die nervös wirkt und in ihrem buntgemusterten Desigual-Kleid ein atemberaubendes Dekolleté zur Schau stellt, schlägt mit der Handtasche nach ihm.
»Kannst du ausnahmsweise den Mund halten, Ramy Kareem?«
»Aua! Bist du einmal zu oft vom Esel gefallen, oder was ist los? Jemand sollte Dotti doch …«
»Pst. Hier.« Sie drückt ihm ihr leeres Glas in die Hand. »Du darfst mir etwas zu trinken holen.
Grigora!
Das
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