Naschmarkt
erst, wenn man davon Migräne bekommt.«
Ich will etwas antworten, doch plötzlich wird das Licht im
Pies & Pages
dunkler. Augenblicklich verstummen die Gespräche, und alle blicken gespannt zu dem Mann, der auf der Lesecouch Platz genommen hat. Die Tiffany-Lampe beleuchtet ihn und sorgt für interessante Reflexe auf seinen hellen Locken. Er sieht gut aus, viel zu gut. Mein Herz klopft Rosamunde-Pilcher-würdig, und ich frage mich, ob er mich von dort vorne sehen kann. Er trägt wieder seine riesige Nerd-Brille, hat aber wie schon in der TV-Show auf das Kinnbärtchen verzichtet. Zum Glück ist es so dunkel, ansonsten würden mich meine glühenden Wangen bestimmt verraten. Scham prickelt heiß in meinen Schläfen, als mir die diversen Gespräche einfallen. Jeder spöttische Kommentar klingt mir in den Ohren, als wäre ich mein eigener Tinnitus. Scheiße.
»
Ladies and Gentlemen,
liebe Freunde des
Pies & Pages,
ich freue mich, Sie heute bei dieser besonderen Lesung begrüßen zu dürfen.«
Lady Lydia steht auf den Stufen neben dem Sofa und sieht ihr Publikum strahlend an. Wie immer bewundere ich ihre grenzenlose Begeisterungsfähigkeit.
»Es ist mir eine Honoration, dass wir einen echten Bestsellerautor zu Gast haben. Sein Roman
Amors Feder,
der vor zwei Monaten publischickt wurde, ist aktuell unter den zehn Erstplatzierten … ich meine unter den Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste. Einen großen Applaus für Florian Glahnz. Habe ich das richtig prononciert?«
Glahnz hat sich vom Sofa erhoben, die Hand meiner Mutter ergriffen und deutet einen flüchtigen Handkuss an.
»Wunderbar, Lady Rocksbridge! Ein perfektes stummes H.«
Täusche ich mich, oder wirft er dabei einen kurzen Blick in meine Richtung?
»Ich freue mich, dass so viele Menschen erschienen sind.
Amors Feder
ist, wie einigen vielleicht bekannt sein dürfte, ein Roman über die Liebe. Die Liebe, die uns überall begegnen kann. Als Fremdkörper an einem Ort voller Beton, mitten in der Wiese verwurzelt, als Erinnerung an Kindheitserlebnisse, auf Papierflügeln und manchmal sogar im Internet.«
Ich beobachte, wie sich Momo bei diesen Worten an Lorenz’ Schulter kuschelt. Etwas an der Geste sorgt dafür, dass es in meinem Bauch zu kribbeln beginnt. Höchstwahrscheinlich die ersten Anzeichen für eine Darmgrippe oder Schlimmeres. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.
»Ich werde jetzt einen Auszug aus dem zweiten Kapitel von
Amors Feder
lesen. Mein Held, Feit Gold, hat eine Einladung von einer mysteriösen Firma namens
KUPPITSCHEK
Spezialservices
erhalten. Er erscheint zum Vorstellungsgespräch im Bürogebäude von KUPPITSCHEK , das sich in der Wiener Bäckerstraße befindet.«
Glahnz trinkt einen Schluck aus dem bereitgestellten Wasserglas, räuspert sich leise, schlägt das Buch in seiner Hand auf und beginnt zu lesen.
»Sie müssen Feit Gold sein, der Schriftsteller.«
Es handelte sich um eine Feststellung, keine Frage. Der Mann, der mit dem Rücken zu ihm am Fenster stand, hob die Stimme am Ende des Satzes nicht um den winzigsten Hauch. Als wüsste er mit Gewissheit, wer Feit war, hätte sämtliche Details seines Lebens parat und könnte bei Bedarf eine mehrbändige Biografie verfassen. Der Titel würde
Aus Goldes Mund
lauten oder ganz einfach
Goldschwatz
. Feit rieb sich das rechte Ohrläppchen, wie immer wenn sich seine linke Körperhälfte taub anfühlte.
»Gold ist mein Name«, sagte er und verspürte augenblicklich den üblichen Selbsthass beim devoten Klang seiner Stimme, »und Sie sind …?«
»Kuppitschek nennt man mich hier in Wien. Mein Geschäft sind Spezialservices jeder Art.«
Mit diesen Worten drehte sich der Mann um, deutete eine schlampige Verbeugung an und fixierte Feit aus tiefschwarzen Augen, die hinter den Gläsern einer dicken, dunkel umrandeten Brille überdimensional funkelten. Sein schneeweißer Anzug musste eine Maßanfertigung sein, da sein Körperwuchs eher an einen Tolkienschen Ent erinnerte. Seine schlaksige Gestalt überragte Feit um zwei Köpfe, was durch die langen schwarzen Locken, die das schmale Gesicht umrahmten, noch unterstrichen wurde. Er reichte Feit eine knochige Hand und lächelte. Das Rot seiner Wangen und Lippen passte gar nicht zu dem wilden Schwarz-Weiß, das ihn sonst umgab.
»Die Antwort auf die erste Frage, die Sie mir nicht gestellt haben, lautet:
KUPPITSCHEK
arbeitet im Dienste der Liebe. Unser Auftrag ist kein geringerer als die passgenaue Zusammenführung zweier einzelner
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