Naschmarkt
Ihre Kolumne gelesen. Leider weiß ich nicht, wo Twitter liegt, sonst wäre ich Ihnen dorthin gefolgt. Also hat mein Neffe für mich in der Zeitungsredaktion angerufen. Er meinte, um Ihren – wie sagt man – Blog zu lesen, braucht man einen Computer oder ein Smartphone. Weil ich beides nicht besitze, war die Dame an der Hotline so nett, ihm zu sagen, dass Sie sehr oft in diesem Lokal anzutreffen sind.«
Toll. Die Redaktion des
Boten
hat anscheinend noch nie etwas von Stalking gehört.
»Ja, meine Mutter ist die Besitzerin«, antworte ich zögernd und sehe mich um. Rettung durch Lady Lydia ist unwahrscheinlich, da sie, umringt von mehreren Stammkundinnen gerade in ihrem signierten Exemplar von
Vesuvia
blättert. Miki ist von Frau Stipsits in Beschlag genommen, die sich eine anregende Schwarzteemischung zusammenstellen lässt.
»Setzen Sie sich doch kurz zu mir, Dotti. Ich möchte Ihnen etwas erzählen.«
»Das ist sehr freundlich, Annili, aber ich sollte …«
»Es geht um das
Mauerblümchensyndrom
«, unterbricht sie mich und blinzelt mir verschwörerisch zu. Augenblicklich kribbelt es in meinem Magen, und ich denke an die drei Damen auf der Parkbank.
Annili lächelt. Sie deutet auf den freien Stuhl an ihrem Tisch, während sie dem Pekinesen ein weiteres Stück Kuchen hinabreicht, was dieser mit freudigem Schwanzwedeln quittiert. Ich setze mich. Annili schiebt ihren Kuchenteller beiseite und lehnt sich über den Tisch zu mir. Sie spricht mit gesenkter Stimme, so dass auch ich mich zu ihr beugen muss, um sie zu verstehen.
»Ich nehme an, Sie haben den Artikel gestern gelesen. Es war nicht der erste seiner Art und wird nicht der letzte sein. Beatrice Kleidermann hat sich schon öfters öffentlich dafür stark gemacht, unverheiratete Menschen zur Kasse zu bitten, um die Familien zu unterstützen.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
Annili lächelt wieder, reicht dem Pekinesen das letzte Stück Kuchen und wischt sich die Hände sorgfältig mit einer Serviette ab.
»Ihre Kolumne macht vielen jungen Frauen Mut. Frauen, die andere Erfüllung suchen und kennen als einen Ehemann. Frauen, die schief angeschaut werden, weil sie keinen Partner haben, und die man mitleidig ›Mauerblümchen‹ oder ›Übriggebliebene‹ nennt. Wenn sie Haustiere haben, wird gefeixt, dass sie mit dem Tier etwas ersetzen. Es gilt als wider die Natur, keine Familie gründen zu wollen. Dabei gibt es viele solcher Frauen. Frauen wie Sie, Dotti. Und wie mich.«
Annili berührt mich vorsichtig am Handgelenk.
»Sie haben Worte dafür gefunden. Machen Sie weiter. Ich bin nur gekommen, um Ihnen das zu sagen. Und nehmen Sie sich vor Beatrice Kleidermann in Acht. Komm, Orange, wir gehen noch eine Runde Gassi.«
Sie tut sich schwer mit dem Aufstehen, und ich helfe ihr aus dem Stuhl hoch. Sie riecht selbst ein wenig wie Tee und Kuchen: süß und blumig. Der Pekinese bellt einmal kurz und wedelt mit dem Schwanz.
»Der Hund heißt Orange?«
»Orange Pekoe, wie das ganze flaumige Teeblatt.«
Bei der Nennung ihres Namens macht Orange Männchen. Annili streichelt über den Kopf des Tieres, das sich an ihr Bein drückt. Dann nickt sie mir zu.
»Auf Wiedersehen, Dotti, es war schön, Sie kennenzulernen. Und wenn Sie das nächste Mal Milchschokolade essen, denken Sie an mich.« Sie zwinkert.
Als die Tür hinter ihr zufällt, blicke ich verwirrt auf den verlassenen Stuhl, wo sie eben noch saß. Eine sonderbare Frau.
»
Darling
, wer war das denn?«
Meine Mutter sieht Annili durchs Schaufenster nach. Neue Kundinnen wecken stets ihr Interesse.
»Dorothy?«
»Was?«
Ich nehme Annilis leere Tasse und den Kuchenteller und räume beides ab.
»Wer war die nette Dame?«
Meine Gedanken sind längst woanders.
»Ein Mauerblümchen, Mummy. Ein echtes Mauerblümchen.«
Liebst du schon oder lebst du noch?
Der Mauerblümchentest
Montag, 17. Oktober
1. Es ist Samstagabend, alle deine Freunde sind entweder im coolen städtischen Nachtleben unterwegs, daheim, um Ehemann und Nachwuchs zu verpflegen, oder nicht erreichbar. Wo bist du?
A Bei einem romantischen Date mit der zukünftigen Liebe meines Lebens. Wo sonst?
B In einer angesagten Bar, um neue Freunde zu finden.
C Natürlich mit einem guten Buch oder einem guten Film auf der Couch.
2. Du sitzt allein im Café deines Vertrauens, und ein attraktiver Fremder beobachtet dich die ganze Zeit vom Nebentisch aus. Was tust du?
A Ich tue so, als würde ich ihn nicht bemerken, lasse
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