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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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in Filmdrehbüchern plazieren. Plotpoint eins. Du weißt schon, die Stelle, wo Bruce Willis in
Stirb Langsam
jeweils die Nachricht des geisteskranken Genies findet und von diesem Moment an hinter ihm herjagt.«
    »Warte mal, du bist die Geisteskranke in diesem Szenario?«
    Ich klopfe ungeduldig auf die Tischplatte.
    »Das war ein schlechtes Beispiel. Versuchen wir es mit Shakespeare. Ehe es ihm die Hexen vorhersagen, denkt Macbeth nicht darüber nach, ob er König werden will. Erst als es ihm als Möglichkeit vor Augen geführt wird, trifft er die Entscheidungen, die ihn diesem Ziel näher bringen.«
    »Also bist du die Hexe?«
    »Nein. Ja. Von mir aus, so in etwa. Du könntest auch an den Buchhändler Koreander denken, der Bastian vor der
Unendlichen Geschichte
warnt, oder an das Mädchen, dessen Duft Jean Baptiste Grenouille durch den Gestank von Paris folgt, bis er seinen ersten Mord begehen muss.«
    »Jean wer? War das in den Nachrichten?«
    »Nein, in Süskinds
Parfum.
«
    »Ach, Dotti, du weißt, dass ich keine gehypten Bücher mag. Zauberer, die mit Eulen sprechen, genauso wenig wie irre Parfumeure oder beißende Schönlinge.«
    »Ich weiß. Aber darum geht es gar nicht. Christine, da draußen sind Tausende, vielleicht zig Tausende Frauen, die leben wie wir. Zufrieden allein. Doch in den Medien und der Öffentlichkeit wird ihnen zeitlebens vorgemacht, Partner plus Familie, das sei das Ideal. Überall sind sie mit dem Problem der Zweisamkeit konfrontiert: Hotels ohne Einzelzimmer oder mit Einzelzimmerzuschlägen, doppelt eingedeckte Tische in Restaurants, Familienermäßigungen, Zwei-zum-Preis-von-einem-Angebote. Sogar die geschmacklich fragwürdigsten Fertiggerichte gibt es immer noch meist als Zweier-Portionen. Schau dir Strände in Urlaubsländern an: ein Sonnenschirm …«
    »… zwei Liegen«, ergänzt Christine. »Aber das ist normal, ich meine, wir Menschen sind im Grunde keine Einzelgänger.«
    »Und wieso nicht? Weil wir es nicht sein sollen. Die Werbung, die gesamte Unterhaltungsindustrie und zu guter Letzt auch solche Partnerbörsen wie
Literally in Love
lassen uns wissen, dass wir
einzeln
nur
halb
sind. Zur Komplettierung fehlt uns der Mensch, der uns ergänzt. Folglich hören wir nie auf, uns schlecht zu fühlen, selbst wenn wir ein erfülltes Leben, einen tollen Job, einen riesigen Freundeskreis und anschmiegsame Haustiere haben. Das kann doch nicht alles sein. Da fehlt doch etwas … Aber fehlt es wirklich, oder wird uns nur erfolgreich eingeredet, dass es uns zu fehlen hat?«
    Christines Augen sind kugelrund.
    »Lass mich raten: Da kommst du ins Spiel, richtig?«
    »Ja. Es hätte jeder sein können. Jemand outet sich in den Medien. Jemand erklärt in der Öffentlichkeit, dass er gar kein Interesse am Doppelzimmer oder dem Familienticket hat. Jemand sagt: ›Ich bin überzeugte Pluskatze‹, und alle, die so etwas immer schon heimlich gedacht haben, fühlen sich angesprochen.
    Damit hast du die Katastase, das erregende Moment. Was folgt, ist der völlig berechenbare Gegenschlag jener Industrie, die davon lebt, dass Menschen Partner suchen. Und – Bumm – sofort wird es ein Thema, das polarisiert und eine Bewegung in Gang bringt, die unwiderruflich ist.«
    »Eine Bewegung? Bist du dir sicher?«
    Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich mir einer Sache hundertprozentig sicher.
    »Die Wahrheit ist:
Literally in Love
oder andere Datingfirmen locken uns mit der Vorstellung, dass es für jeden irgendwo den perfekten anderen gibt. Er wartet da draußen auf uns, quasi in Hörweite. Alles, was wir tun müssen, ist, unsere Wünsche äußern, eine Bestellkarte ausfüllen, einen Mitgliedsbeitrag zahlen, und schon wird er uns nach wissenschaftlichen Kriterien auf dem Silbertablett serviert. In nur zwei Monaten. So simpel ist das. Wenn man das Ideal genügend abstrahiert, analysiert und in Excel-Dateien einsortiert, kommt unterm Strich ein Übereinstimmungswert heraus. Das System bestimmt, wer zu mir passt. Das Resultat ist ein einfaches Rechenergebnis.« Ich mache eine kurze dramatische Redepause. »Und ich werde beweisen, dass es völlig an den Haaren herbeigezogen ist!«
    »Wie willst du das anstellen?«
    Christine füllt die Teekanne mit Wasser und stellt sie in die Spüle.
    »Ich melde mich als Mann an und beantworte alle Fragen genau so, wie mein perfekter Partner es tun würde. Danach überprüfe ich unser Matchingergebnis. Genial, oder? Und apropos genial, ich weiß auch schon, wer mir dabei

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