Naschmarkt
behilflich sein darf.«
»Da hast du ja einiges vor.«
»So ist es. Ich muss los, Tini. Danke für den Tee und das Gespräch. Gib den Phylliums eine Extraportion Grünzeug von mir.«
Christine begleitet mich zur Tür ihrer gemütlichen, kleinen Dreizimmerwohnung. Sie verdient nicht schlecht, steckt allerdings das meiste Geld in exotische Haustiere und Pflanzen. Im winzigen Flur sieht sie mir dabei zu, wie ich in meine Schuhe schlüpfe.
»Du, Dotti, was unternimmst du jetzt eigentlich wegen djfleming?«
»Nichts. Erstens bin ich davon überzeugt, dass mich irgendwer verarschen will, und zweitens steht
High Fidelity
ganz oben auf meiner Liste der meistgehassten Bücher. Rob Fleming, der Protagonist, ist ein in Selbstmitleid badender, beziehungsunfähiger Geek mit einer akribisch sortierten Plattensammlung, der permanent über Musik spricht, als wäre sie das A und O der Welt.«
»Musik ist das A und O der Welt.«
»Nicht für mich.«
In dem Moment beginnt mein Handy zu vibrieren. Mist! Mühsam fische ich es aus der Tiefe meiner Jackentasche. Unbekannte Nummer.
»Ja, bitte?«
»Spreche ich mit D…Dorothy Wilcek?«
»Dorothy ohne Doppel-D«, antworte ich und verabschiede mich mit einem Augenrollen von Christine.
»Frau Wilcek, hier spricht Anton Fischler. M…mit F. Ich war heute im Geschäft Ihrer werten Frau M…Mama, die so freundlich war, m…mir Ihre Nummer zu geben. Vielleicht hätten Sie einen Termin für ein Blind Date?«
Ich schalte das Handy wortlos aus, ohne die zwei Dutzend Nachrichten abzuhören, die meine Mobilbox anzeigt.
Das könnte eine verdammt lange Zeit werden, bis die Evolution endlich zuschlägt.
Liebst du schon oder lebst du noch?
Phyllium Giganteum
Donnerstag, 20. Oktober
Die Evolution verfügt über einen Mechanismus namens
Natürliche Selektion.
Individuen mit Merkmalen, die für die Fortpflanzung von Vorteil sind, werden häufiger reproduziert als Individuen ohne besagte Merkmale.
Bei den meisten Gattungen leisten die Männchen, egal, wie schrill und bunt sie gestaltet sind, zur eigentlichen Arterhaltung nur einen winzigen Beitrag, der, einmal auf andere Weise ersetzt, nicht weiter fehlt. Was haben zum Beispiel das Truthuhn, die Kopflaus, der Gecko und das Große Wandelnde Blatt gemeinsam? Sie vermehren sich komplett ohne Zutun der Männchen, was dazu führt, dass diese der natürlichen Selektion zum Opfer fallen. Rein evolutionstechnisch betrachtet sind männliche Kopfläuse einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir leben sozusagen im Jahrtausend des Penissterbens.
Beim Homo sapiens war der erste und bisher einzige dokumentierte Fall von Jungfernzeugung jene von Jesus Christus, ist also bereits ein Weilchen her und von der Beweislage her problematisch. Daher bestreitet bisher niemand, dass der Mensch zur Fortpflanzung immer noch einen Partner braucht, selbst wenn es in sehr vielen Kulturen inzwischen nicht unüblich ist, den Nachwuchs allein großzuziehen.
Die Partnerwahl der obersten Primaten zeichnet sich folglich durch besondere Sorgfalt aus. Im Gegensatz zum Tierreich, wo meist die Männchen das schöne Gefieder und die prächtige Mähne besitzen, dominiert die Menschenfrau optisch und farblich das Bild. Männer müssen daher mit anderen Fähigkeiten punkten – sei es, indem sie ihre Muskeln stählen, ihren Intellekt trainieren oder in sportlichen und beruflichen Wettkämpfen ihren Todesmut beweisen.
Der neueste Trend bei der Partnersuche ist das sogenannte
Matching.
Männchen und Weibchen füllen Testbögen aus, beantworten Fragen und finden sich am Ende, wissenschaftlich abgesichert, zu perfekt gematchten Paaren zusammen.
Mein Testresultat bei Literally in Love besagt, dass mein Matchingergebnis mit Skydiver65 bei soliden fünfundsiebzig Prozent liegt, während SartreJP und mich nur mickrige einundsechzig Prozent verbinden. Das heißt, Sartre scheidet für mich als potentieller Fortpflanzungspartner aus. Diesen Vorgang könnte man auch Web 2.0-Selektion nennen.
Was mich zu der Schlussfolgerung führt: Wenn man kein Großes Wandelndes Blatt und kein Truthuhn ist, sondern ein Homo sapiens, sollte man die Evolution im Auge behalten. Der männliche Teil unserer Spezies könnte ein Fake sein oder einen Virus enthalten!
(follow @dottiliest bei Twitter)
Freitag, 21 . Oktober
»Dotti, koste mal!«
Ich fische mir einen Löffel aus der Besteckschublade und tauche ihn in den blubbernden, saucenähnlichen Inhalt des Kochtopfes, den Lorenz sein »großartiges,
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