Naschmarkt
macht.«
»’schuldigung!«
»Dotti!«
»Was?«
Stella zupft mich am Ärmel. Ich drehe den Kopf. Hinter uns steht der Kellner und schaut so böse, wie ein Japaner es eben kann.
»Draußen oder drinnen«, sagt er, ein nicht eben vorteilhafter Satz mit drei schwer zu rollenden »R«. Was ihm an sprachlicher Schärfe fehlt, macht er durch ein höchst bewölktes Stirnrunzeln wett. Panisch schaue ich zwischen ihm und dem Pärchen im Hauseingang hin und her. Wenn wir die Sushibar jetzt verlassen, weiß die Loos, dass ich sie gesehen habe.
»
’schuldigung! Draußen?
Oder
drinnen?
«
Mist! Den Liebhaber kann ich immer noch nicht erkennen, er wendet mir den Rücken zu. Dafür scheint die Diskussion wieder hitziger zu werden.
»… wenn das rauskommt«, schnappe ich auf. »Wir sollten uns hier nicht treffen.«
»Ach ja?« Die Stimme der Loos übersteuert, wie ein defekter CD -Player. »Vielleicht sollten wir uns überhaupt nicht mehr sehen!«
»Sori!«
»Dein Sori kannst du dir …«
Der Kellner greift energisch zwischen Stella und mir zum Türknauf und reißt die Tür vollständig auf. Jetzt trennen uns nur noch vier, fünf Schritte von dem Pärchen. Wenn die Loos den Kopf nur eine Spur nach links dreht, muss sie uns bemerken.
Die Rettung tritt in Form zweier langer Beine auf, die genau in der Sekunde inmitten eines Pulks Fußgänger die Straße überqueren. Oberkörper und Gesicht sind zum Großteil durch einen Stapel Starbucks-Becher verdeckt, der die anderen Passanten veranlasst, einen Respektabstand zu halten. Es ist Lorenz, der den nachmittäglichen Kaffee in die Redaktion bringt. Das Gebilde aus Trinkgefäßen, in mehreren Reihen übereinandergestapelt, sieht nicht vertrauenerweckend stabil aus, trotzdem bewegt mein Kollege sich mit einer Routine, die ich insgeheim bewundere. Dass jemand, dessen Fersen fast zwei Meter vom Hirn entfernt sind, vollste Kontrolle über seine Schritte hat, fasziniert mich immer wieder. Viel wichtiger ist aber, dass die Loos Lorenz ebenfalls gesehen hat. Mit einem erschrockenen Quieken dreht sie sich um und läuft Richtung Redaktionsgebäude. Zeitgleich stolpern Stella und ich, vom Kellner unsanft geschoben, auf die Straße. Der Liebhaber sieht der flüchtenden Loos nach, zupft schließlich sein Sakko an den Ärmeln zurecht und kann gerade noch Lorenz ausweichen, der ihn beinahe mit dem Starbucks-Turm umrennt.
»Können Sie nicht aufpassen?«, brüllt er, ehe er ohne weitere Verzögerung die Straße überquert und zwischen den Menschen verschwindet.
Es ist mir gelungen, einen kurzen Blick auf sein Profil zu erhaschen. Dabei ist mir das aufschneiderische Wichtigtuer-Headset aufgefallen, das er im Ohr hatte, sowie ein sonderbar altmodischer Schnitt der Koteletten, die fast bis zu den Mundwinkeln seines breiten Froschmauls reichen. Ich präge mir dieses Bild – Froschmaul, Koteletten, Headset – gut ein. Wenn er mir das nächste Mal begegnet, habe ich dich, Loos!
»Dotti?«
Mit Schwung drehe ich mich um. Das »Was?« bleibt mir allerdings im Hals stecken, denn aufgrund des Schwungs remple ich Lorenz an, wodurch der Starbucks-Turm in Pisaschieflage gerät und, trotz eines Rettungs- bzw. Abwehrversuches meinerseits unter Stellas lautem Schreien zu Boden fällt. Eine heiße, schlammbraune Dusche ergießt sich über mich. Mit schreckgeweiteten Augen betrachtet Lorenz die Schweinerei und stellt die absurdeste Frage, die ich in so einer Situation je gehört habe.
Der Kellner der Sushibar schüttelt den Kopf und kommentiert das Geschehen, ehe er die Tür hinter sich schließt:
»Besser draußen.«
Liebst du schon oder lebst du noch?
Mauerblümchensex
Dienstag, 25. Oktober
Ein Aspekt des Singledaseins, über den kaum jemand spricht, ist der Sex. Auch literarisch wird er – einschlägige Genres ausgenommen – nur zum Thema, wenn mindestens zwei Lebewesen involviert sind. Dennoch findet er statt, der Mauerblümchensex, hinter den festverriegelten Wohnungstüren der Singlebehausungen, überall in der Stadt. Grob kann man drei Arten des
Coitus singularis
unterscheiden:
Zungensex
Augensex und
Kuschelsex.
Beim Zungensex geht es in erster Linie um die Reizung der Geschmacksnerven. Besonders beliebt sind stark zuckerhaltige Speisen wie Schokolade, Eiscreme und Apfelstrudel, die die Produktion der Glückshormone ankurbeln. Auch der salzig-fettige Aspekt knuspriger Erdnussflips, pikanter Chips sowie zartschmelzender Käsesorten sorgt für Abwechslung auf dem Weg
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