Naschmarkt
zum Lustgewinn. Nebenwirkungen können akute Gewichtszunahme und damit verbundene Depression sein.
Gegen Letztere hilft am besten Variante b), der Augensex. Die Sehorgane werden dabei einer Flut visueller Reize ausgesetzt, wofür sich besonders Arztserien im Fernsehen, romantische Komödien auf DVD oder in Buchform gepresste Instantabenteuer eignen. Es kann zu zeitweiligem Realitätsverlust, Schlafstörungen und Halluzinationen kommen.
Der Kuschelsex wiederum ist relativ unbedenklich. Dazu braucht es lediglich die Anschaffung eines Haustieres, im Idealfall mit weichem, flauschigem Fell. Dieses kann gestreichelt, gepflegt oder einfach an die Wange gedrückt werden. Manche Singles behelfen sich mit Plüschtieren, was die Qualität des Liebesaktes jedoch deutlich reduziert. Kuschelsex ist zu jeder beliebigen Tageszeit und sowohl im Wohn- als auch im Schlafzimmer möglich, was ihn zur gesündesten und flexibelsten Variante macht.
Das moderne, am Puls des Zeitgeistes lebende Mauerblümchen hat freilich gelernt, den
Coitus singularis
zu variieren und zu kombinieren. Dieser Vorgang hat etwas damit zu tun, dass man seinen Coffee to go
tall, grande, skimmed, soja, caramel, iced
oder mit
extra shot
bestellen kann. Das Haustier auf den Schoß, die Schokolade in Reichweite und der Fernseher mit HD -Qualität auf voller Schmachtstärke, die Fernbedienung in der Hand. Das höchste der Mauerblümchengefühle: Liebe to go mit einem Extrashot Sehnsucht. Wir leben eben im Zeitalter der Customisierung. Alles und jedes wird an die eigenen Bedürfnisse angepasst und in mundgerechten Portionen serviert. Die Generation Maki Rolls: gesund, hübsch, sauber – aber irgendwie unbefriedigt.
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Mittwoch, 26 . Oktober
Die riesigen weißen Buchstaben heben sich deutlich vom roten Hintergrund ab. Auch aus großer Entfernung ist das Firmenlogo nicht zu übersehen: TOMAN ABSCHLEPPDIENST. Irgendwie passend. Mitten im Inzersdorfer Industrieviertel habe ich ihn tatsächlich gefunden, den Fuhrpark mit der rot-weiß-roten Schrift. Laut Plan müsste ich, wenn ich geradeaus weitergehe, genau auf die Bahngleise stoßen. Bingo!
Nach dem unerfreulichen Ende des gestrigen Mittagessens habe ich Stellas Rat befolgt und ein wenig Internetrecherche betrieben. Es hat sich herausgestellt, dass es 2009 nur vier Abrisse größerer Wohnblocks in Wien gab. Zwei davon im Norden, wo ein gigantisches Shoppingcenter gebaut wurde, einen im Osten wegen schwerer Baumängel und einen im Süden, als die neue Außenring-Schnellstraße entstand. Mit Google Maps habe ich rasch herausgefunden, dass es dort jede Menge Bahngleise gibt, benutzte wie unbenutzte, und bin auf die Firma Toman gestoßen, das größte Abschleppunternehmen der Stadt mit einem weiß-roten Logo.
Es ist ein klischeehafter Herbsttag mit Bodennebel und diesem graublauen Zwielicht, das den Konsum von Antidepressiva um diese Jahreszeit rapide ansteigen lässt. Ich folge der Straße, gehe bis zu den Gleisen, zwischen denen feuchtglänzendes Gestrüpp wuchert. Die Geräusche des nahegelegenen Großgrünmarktes und das stetige, dröhnende Brummen der Autobahn, sonst sicher eine Art Grundrauschen, sind heute zu einem Gutteil vom Nebel verschluckt.
Wie in djflemings E-Mail beschrieben, folge ich den stillgelegten Bahngleisen. Selbst der Unrat, der hier und da verstreut liegt, ist von beinahe antiquarischem Wert. Die Aufschriften auf Tüten und Verpackungen sind kaum noch zu entziffern.
Es gehen nicht viele Menschen in diesem Viertel spazieren, und ich verstehe, warum. Vielleicht fände einer der berufsmelancholischen Literaten, die sich tagtäglich im
Pies & Pages
das Messingäffchen in die Hand geben, Gefallen an der Verwitterungsstimmung. Ich für meinen Teil möchte schleunigst zurück in meine geheizte Wohnung. Das Katzenfutterorakel war gnädig, ein wenig gekleckert, aber großteils aufgefressen. Ich könnte mir Rooibostee kochen und mich dem neuesten Elizabeth-George-Krimi widmen. Mit Inspektor Lynley nach London reisen, bis sich die verrückte letzte Woche in den Gerüchen von Camden Market verliert.
Das Problem ist der Kompass. Warum musste Stella mich auch damit aufziehen? Sie meinte nämlich, dass mir nur deshalb so viel Scheiße passiert, weil ich in den vergangenen drei Jahren keine Ambition gezeigt habe, dem Kompass zu folgen.
»Du forderst das schlechte Karma ja geradezu heraus.«
Wir hatten uns nach dem Zusammenstoß vor der Sushibar zurück in die
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