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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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verräterisches Zeichen, dass sie weiß, wovon ich spreche?«
    »Nein, Dotti, leider sind wir meist allein, Orange und ich. Wir mögen die Ruhe. Früher war es lauter.«
    »Früher? Waren Sie schon da, als der Wohnblock stand?«
    Sie nickt lächelnd.
    »Natürlich. Ich wohne seit fünfzig Jahren in dieser Gegend. Ich war auch hier, als es den Wohnblock noch gar nicht gab. Lange vor Ihrer Geburt, Dotti. Ich habe gesehen, wie sie ihn gebaut haben, und später, wie sie ihn abgerissen haben.«
    »Dann kennen Sie den Mann vielleicht doch. Er ist im Wohnblock aufgewachsen.«
    »Das sind viele Menschen, Dotti. Kinder gab es jede Menge. Diese Betonfläche hier war ihr Spielplatz. Die Mütter konnten sie von den umliegenden Fenstern aus beobachten. Trotzdem gab es Schlägereien und Streiche wie überall. Im Winter haben sie Schneebälle geworfen, im Sommer schon mal Steine, wenn ihnen langweilig war.«
    Ich habe ein bisschen Sorge, dass Annili gleich einen Vortrag über unartige Jugendliche hält, doch stattdessen kichert sie wie ein kleines Mädchen und deutet auf den verwitterten Basketballkorb.
    »Manchmal ist mir der Ball vor die Füße gerollt, dann habe ich auch einen Wurf versucht. Und nicht selten getroffen.«
    Ich grinse. Ich kann mir Annili irgendwie nicht als jüngere oder gar junge Frau vorstellen, die Basketballkörbe wirft und sich gegen Schneebälle zur Wehr setzt. Als würde sie meine Gedanken erraten, sagt sie: »Ich war nicht immer eine alte Schachtel, müssen Sie wissen«, und unser Lachen mischt sich mit dem graublauen Nebel zu einer angenehmen Herbstkulisse. Mein Blick kehrt zu dem Gegenstand zurück, der zwischen uns auf der Erde liegt, dort, wo der Beton den breitesten Riss hat.
    »Ein interessantes Fundstück«, meint Annili. »Wo wohl der zweite abgeblieben ist?«
    Orange nähert sich argwöhnisch dem Ding, steckt schließlich ihre platte Pekinesenschnauze hinein und wedelt heftig mit dem Schwanz.
    »Ich glaube, es ist unbedenklich, ihn zu berühren. Hunde haben eine feine Nase für Gefahr.«
    Nach einem letzten Zögern bücke ich mich und hebe den Gegenstand vorsichtig auf. Orange kläfft und hüpft an meinem Bein hoch, als wollte sie ihn mir wieder wegschnappen.
    Es ist ein einzelner Schuh. Doch nicht irgendein Schuh, sondern exakt der gleiche schwarze Converse Chuck, den ich selbst trage, allerdings in Größe vierundvierzigeinhalb. Die Schuhbänder sind sorgfältig geschnürt, und er sieht zwar getragen, aber nicht schmutzig aus. Ich drehe ihn unentschlossen in den Händen. Der Schuh erinnert mich noch an irgendetwas anderes, auf das ich gerade nicht komme.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend schiebe ich die Schnürsenkel beiseite und greife mit der Hand ins Schuhinnere. Ich bin angespannt. Keine Ahnung, was ich erwarte, eine Mausefalle, die zuschnappt, oder ein böses Insekt, das mich beißt. Stattdessen finde ich ganz vorne in der Schuhspitze ein Stückchen Papier. Ich fische es heraus. Es handelt sich um eine Seite aus einem karierten Notizblock, mehrfach gefaltet.
     
    Bekannte Unbekannte!
    Wenn du diese Nachricht liest, hast du dich entschieden, meinem Fußabdruck zu folgen. Die Freude ist ganz meinerseits. Im Boden war ein Loch. Und in dem Loch, da war was? Erinnerst du dich? Das grüne Gras wächst rundherum.
    In genau sieben Tagen schlage ich Wurzeln für dich, wo ein Erzherzog und ein Prinz ihre Schatten werfen.
    Dir verbunden,
    djfleming
     
    »Dotti? Alles in Ordnung?«
    Ich lese den Zettel zum dritten Mal und schüttle verwirrt den Kopf. Ist das nun ein Date? Dafür ist die Zeit- und Ortsangabe reichlich vage. Er wird doch wohl nicht den ganzen nächsten Mittwochvormittag auf mich warten. Bloß, wenn es kein Date ist, was ist es dann?
    Stellas Idee der Geocaching-Schnitzeljagd fällt mir ein. Spielt djfleming ein Spiel mit mir?
    »Annili, es war wirklich nett, mit Ihnen zu plaudern, aber ich sollte jetzt gehen.«
    Ich lege den Schuh genau so zurück, wie ich ihn gefunden habe und stecke, nach kurzem Zögern, auch den Zettel wieder hinein. Die Prämisse war falsch. Ich bin mir sicher, dass djfleming nur jemand mit einer guten Masche ist. Bestimmt tappen literarisch interessierte Frauen leicht in die Falle, wenn ihnen ein bisschen Abenteuer versprochen wird. Handschriftliche Notizen an entlegenen Plätzen, Radiobotschaften mit Hinweisen – soll der Herr doch seine Kunst bei der nächsten gutgläubigen Userin von
Literally in Love
einsetzen. Ich für meinen Teil bin und bleibe ein

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