Naschmarkt
Namensschild fallen. Die allgegenwärtige, nervende Lounge-Musik, die sich mit ihrer grenzenlosen Gleichförmigkeit in mein Hirn bohrt, soll offenbar für Stimmung sorgen. Ich massiere meine Schläfen und beobachte Kareem, der, die Hände in den Hosentaschen, etwas abseits der Männergruppe steht und von den Singledamen förmlich mit den Augen aufgefressen wird. Geschieht ihm recht. So ein Blödsinn, exklusive Berichterstattung und Mauerblümchenbewegung. Er will Quoten, das ist alles.
Das Drechsler scheint heute Abend zum großen Teil für das Speeddating reserviert zu sein. Dennoch sitzen in den Fensternischen auch einige unbeteiligte Gäste. Ein Ehepaar, ein alter Mann, eine Frau, die auf ihrem Handy herumtippt, sowie ein Typ, der den Kopf in der Abendausgabe des
Österreichboten
vergraben hat.
Ich bestelle mir eine Kanne Rooibostee und hoffe darauf, dass die Sache schnell vorübergeht. Der anstehende Praterbesuch liegt mir wie ein Schnitzel mit Mayonnaisesalat im Magen. Die einzige Chance, djfleming auf die Spur zu kommen, scheint das Riesenrad zu sein, also bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Glück in Kabine vierzehn zu versuchen. Ausgerechnet.
Ich greife automatisch zu meinem Handgelenk, um die Zeit zu checken. Meine Uhr ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Ich habe in der Oper angerufen, beim Taxi-Unternehmen, bei der MA 48 , der Wiener Straßenreinigung, und sogar in der Zentrale des Fundbüros, aber das Schmuckstück ist wie vom Erdboden verschwunden. Bei dem Gedanken daran spüre ich einen Stich in der Magengrube. Ich hänge mein Herz selten an andere Dinge als Bücher, doch diese Uhr scheint auf seltsame Art mit meinem Glück verknüpft zu sein. Zudem habe ich keine Ahnung, wie ich den Mädels beibringen soll, dass ich sie verloren habe.
»Punkt acht«, sagt eine Stimme. Irritiert blicke ich auf und in das Gesicht meines ersten Gesprächspartners, der inzwischen unauffällig mir gegenüber Platz genommen hat.
»Die Uhr verloren, ich kenne das, man sucht dauernd nach der genauen Zeit, ob man sie braucht oder nicht«, fährt er fort, als ich nicht reagiere.
Ich nicke abwesend. Irgendwie kommt mir der Mann bekannt vor, aber ich könnte nicht sagen, warum oder woher. Er ist nicht unattraktiv, sieht ein wenig wie ein junger Robert Redford aus, mit etwas zu langen blonden Stirnfransen, Fältchen um die hellen blauen Augen und vollen Lippen. Bloß eine riesengroße Brille sowie ein ganz und gar unmögliches Kinnbärtchen stören die Optik und erinnern mich daran, dass wir hier nicht im historischen Hollywood, sondern beim Speeddating für Literatur-Nerds sind. Gut möglich, dass er mir in der Wiener Literaturszene begegnet ist. Bei Lesungen oder Messen trifft man immer wieder die gleichen Leute. Doch bevor ich ihn selbst fragen kann, bringt Annette Hofbauers hohe Heidi-Stimme das leise Gemurmel im Raum zum Verstummen.
»Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, zu unserem Speeddating-Event
POE
sucht
SIE
,
der heute bereits zum fünften Mal im Café Drechsler stattfindet. Wenn Sie das Signal der Glocke hören, beginnen Ihre ersten fünf Minuten Gesprächszeit. Danach bitte ich die Herren, bei jedem folgenden Läuten zügig einen Tisch weiter nach rechts zu rutschen. Vergessen Sie nicht, sich das Pseudonym Ihres Gegenübers und dazu Ihr Ja oder Nein zu notieren, damit sich nachher die übereinstimmenden Paare finden können. Ich wünsche Ihnen allen gute Unterhaltung. Auf die Plätze, fertig, los!«
Sie läutet die Glocke.
Mein Gesprächspartner und ich sehen uns an. Im Gegensatz zu den Nebentischen, wo augenblicklich hektisches Stimmengewirr losbricht, schweigen wir eine ganze Weile, ehe er sich räuspert, mit dem Finger über sein Bärtchen streicht und auf mein Namensschild deutet.
»Interessante Wahl.«
»Danke schön.«
»Waren die Damen aus?«
»Sozusagen.«
»Und was verbindet Sie mit
Cyrano de Bergerac?
«
»Die wenigsten wissen, dass er, bevor er eine unsterbliche Theaterfigur wurde, selbst Schriftsteller und Erfinder des Science-Fiction-Romanes war. Ich liebe seinen Witz, seine scharfe Zunge und seinen Sarkasmus. Für mich der attraktivste Mann der Literatur.«
»Trotz seiner Nase? Heißt das, dass bei Ihnen die inneren Werte zählen?«
Wenn er lächelt, hat er etwas sehr Jungenhaftes an sich, das zu der wirren Frisur und den verwegenen Lippen, nicht jedoch zu seinem durchdringend blauäugigen Blick passt. Ich muss permanent auf das hässliche kleine Bärtchen starren.
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