Naschmarkt
Dates Orks, Werwölfen, Vulkaniern oder ähnlich phantastischen Geschöpfen zu begegnen. Im Kopfkino muss ich mich entsprechend durch die heldenhafte Verwendung eines Tee-Eis gegen hungrige Highschool-Blutsauger zur Wehr setzen, die aus Rache, weil ich nicht
Stephenie Meyer
heißen wollte, die Zähne zum Angriff wetzen.
Doch stattdessen werde ich in der nächsten Datingrunde mit einem arbeitslosen Tennislehrer namens
Ken Follett
konfrontiert, der mit genauen Angaben über seine Potenz punktet und Petersilie zwischen seinen Vorderzähnen hat. Es folgen:
Dan Brown,
ein ängstlicher Businesstyp mit Krawatte, der die ganze Zeit an meiner Wange vorbeischielt. Ein schmalbrüstiger Literaturwissenschaftler, seines Zeichens
Thomas Bernhard,
dessen Mutti uns aus einer der Fensternischen zuwinkt. Und ein etwa zweihundert Kilo schwerer
Heinrich Heine,
der mir stotternd und schwitzend ein selbstgeschriebenes Gedicht vorträgt. Als ich denke, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann …
»Dotti! Gott sei Dank.«
Kareem krallt sich an meinen Tisch, als handelte es sich um einen Rettungsanker. Er sieht wirklich mitgenommen aus, selbst sein Namensschild hängt irgendwie schief und traurig an seiner Brust.
Victor Hugo
ist darauf zu lesen.
»Ramy, was ist denn mit dir passiert?«
Er beugt sich über die Tischplatte, packt mich an den Oberarmen und fixiert mich mit Dackelblick sowie zwei tiefen Querfalten auf der Stirn.
»Es. Ist. Die. Hölle«, flüstert er und schüttelt angewidert den Kopf. »All diese Frauen. Wie sie an ihren Kugelschreibern lutschen, ihre Brüste rausstrecken, mir mit Schlafzimmerblick auf den Hintern gaffen und mit bebendem Timbre ihre Fühler nach mir ausfahren. Ich brauche nur die Augenbraue zu heben, und jede davon räkelt sich noch heute Nacht in meinem Bett, bereit zu wildem, unzensiertem Sex.«
Das letzte Wort schreit er fast, was die allgemeine Aufmerksamkeit auf uns lenkt.
»Und wo genau ist dein Problem mit diesem Szenario?«, frage ich leise, indem ich mich aus seiner Umklammerung befreie.
»Das ist purer Sexismus«, protestiert er. »Keine von denen hat mich nach meinem Lieblingsbuch gefragt, nicht eine wollte meine politische Einstellung oder meine favorisierte Ritter-Sport-Sorte wissen. Die wollen doch nur meinen Körper.«
»Du hast eine favorisierte Ritter-Sport-Sorte?«
»Weiße Voll-Nuss. Ist das nicht furchtbar?«
»Hm, ja, ich finde ganze Nüsse in Schokolade schrecklich obszön.«
»Ich meine die Sache mit dem Sexismus.«
»Willkommen beim Speeddating.«
»Du hast ja keine Ahnung. Frauen sind die neuen Machos, das ist die Wahrheit.«
Er sieht sich um und zischt mir dann verschwörerisch zu:
»Spinnen.«
»Die Römer?«
»Nein, die Insekten. Spinnen!«
»Wie kommst du jetzt auf Spinnen?«
»Vogelspinnen, Dotti. Die Weibchen sind größer als die Männchen, und wenn diese ihre Aufgabe bei der Befriedigung der Dame erledigt haben, werden sie aufgefressen. Einzige Rettung ist die Flucht.«
»Willst du damit sagen, dass der weibliche Teil der Menschheit den männlichen nach dem Geschlechtsverkehr in kannibalistischer Absicht verfolgt?«
»Schlimmer. Frauen sind subtiler als Spinnen. Man merkt erst, dass man gefressen wird, wenn es zu spät ist.«
Wie auf Stichwort läutet die Glocke zur letzten Speeddating-Runde. Ramy macht keine Anstalten, aufzustehen.
»Eine weiter, Sportsfreund!«
Wir heben gleichzeitig den Blick. Neben meinem Tisch hat sich ein Typ aufgebaut, der die Altersobergrenze von fünfundvierzig locker um zehn Jahre überschreitet. Graue Schläfen, weiße, krause Brusthaare im Ausschnitt des tief aufgeknöpften Seidenhemdes und ein einwandfreies Kukident-Lächeln.
Stephen King
verkündet sein Namensschild. Mit in die Hüften gestemmten Armen blickt er von Ramy zu mir und wieder zurück zu dem Radiomoderator, um anschließend mit einem silbernen Kugelschreiber ungeduldig auf die Marmortischplatte zu klopfen.
»Das waren bestimmt schon zwanzig Sekunden von meiner Datingzeit, also mach, dass du weiterkommst, Schönling.«
Ramy schüttelt den Kopf.
Stephen King
tippt auf seine Armbanduhr.
»Dreißig Sekunden. Ich habe nichts zu verschenken, mein Freund.«
»Das glaube ich gern«, antwortet Ramy mit leicht erhobener Augenbraue, »in Ihrem Alter hat man es eilig, junge Frauen zu daten. Warum nehmen Sie nicht einfach den nächsten Tisch?«
Oder dabei gleich den Seniorenteller, denke ich auch im Stillen.
»Weil ich da schon war, du Blindgänger. Hier«, er hebt
Weitere Kostenlose Bücher