Naschmarkt
Haare sind naturrot, ey?«
Ich studiere sein Namensschild.
»Johann Wolfgang von Goethe?«,
frage ich.
»Wer?«
»Auf deinem Schild.«
»Ja.«
»Ja?«
»Was sollte ich machen, Mann? Die Coolen waren schon weg.«
»Verstehe.«
»Was ist jetzt mit deinen Haaren?«
»Gefärbt«, lüge ich. »Von Natur aus bin ich komplett weiß. Der Alterungsprozess hat sich dank Social Media beschleunigt.«
Zwei schreckensgeweitete Glutaugen starren mich an, als wäre ich Glenn Close in
Der Tod steht ihr gut
und hätte mir soeben den Hals im Winkel von neunzig Grad gebrochen. Mir fällt ein, dass er Glenn Close vermutlich für eine Espressosorte halten würde.
Macho Goethe gibt sich keine Mühe, das »Nein« versteckt anzukreuzen und tippt dann lässig auf seinem Handy herum. Ich nippe an meinem Rooibostee, um die verbleibende Zeit totzuschlagen. Vom Nebentisch wirft mir
Joanne K. Rowling
einen amüsierten Blick zu.
Die Glocke läutet erneut.
»
Cyrano de Bergerac?
Soll das ein kritisches Statement zur Verteilung der Genderrollen in unserer westlichen Kultur sein?«
»Ich mag Cyrano.«
»Ich auch. Ein tolles Stück, habe ich letzte Saison im Burgtheater mit Brandauer gesehen. Gute Inszenierung, aber katastrophale Ausstattung. Und die Lichtregie, schrecklich. Das hätte es unter Peymann nicht gegeben. Gehst du gern ins Theater? Ich besitze Abonnements für Burgtheater, Volkstheater und Josefstadt, aber die wahren Perlen entdeckt man immer noch in den Kellerbühnen. Vorige Woche habe ich in einem winzigen Theater am Donaukanal einen hinreißenden
Woyzeck
gesehen. Magst du Büchner? Ich nenne die historisch-kritische Marburger Ausgabe mein Eigen. In Leinen gebunden. Magst du antiquarische Bücher?«
Mein Gesprächspartner – sein Namensschild weist ihn als
Friedrich Schiller
aus – muss kurz Luft holen, was er mit Hilfe eines Inhalators tut. Er ist weder dick noch dünn, eher so alltagsgeschädigt aufgeschwemmt, mit einer Stirn bis zum Hinterkopf, großen, wässrigen Augen sowie fahlem Teint, der vermutlich auf fehlendes Tageslicht in seinem natürlichen Kellertheaterrevier zurückzuführen ist.
»Entschuldige, ich leide an Asthma.«
Fast erwarte ich den Zusatz »Magst du Asthma?«, doch stattdessen deutet er auf den Ärmel meiner Bluse.
»Hast du Haustiere?«
»Eine Katze.«
»Oh, einen Moment.« Er kramt in seiner Hosentasche und fördert ein kariertes Stofftaschentuch zutage, in das er sich prustend schneuzt, ehe er es säuberlich wieder zusammenfaltet. Ich stelle mir gerade in einem kurzen Kopfkino-Horrorschocker vor, wie dieses Teil sich inmitten meiner Kleidung in der Waschmaschine dreht, als
Friedrich Schiller
meine Zweisamkeitsträume radikal zerplatzen lässt.
»Ich bin allergisch gegen Ka…, gegen Ka…tschi!«
Noch ehe die Glocke läutet, verlässt er fluchtartig meinen Tisch. Ich picke das einzelne Haar meines Katers vom Blusenärmel und rolle es nachdenklich zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Hallo, sehr erfreut«, stellt sich mein nächstes Date mit gewinnendem Lächeln vor. Er ist nicht unhübsch, mit zerknautschtem Studentencharme, trägt einen modischen Kurzhaarschnitt, eine Designerbrille, teuer aussehende, aber betont lässige Klamotten und spricht mit norddeutschem Akzent.
Hermann Hesse
steht auf seinem Schild. Er kommt ohne Umschweife zur Sache.
»Erste Frage: Wie alt bist du?«
»Dreiunddreißig.«
»Soso.«
Er notiert es sich.
»Zweite Frage: Was machst du beruflich?«
»Ich bin mehrfache Preisträgerin im Origamifalten.«
»Soso.«
Notiz.
»Dritte und wichtigste Frage: Welches Lokal empfiehlst du mir in Wien?«
»Welches Lokal?«
Will er mich etwa sofort ausführen?
»Ich bin erst seit drei Wochen in Wien, beruflich bedingt. Ich arbeite für ein großes Touristikunternehmen und bräuchte ein paar Infos, wo die weiblichen Singles der Stadt gern abhängen. Du weißt schon, an Samstagabenden.«
»Ach, und das erfährt man beim Speeddating?«
»Ja klar. Frauen diverser Altersgruppen, intelligent, belesen, auf Partnersuche.«
Er zuckt mit den Schultern und grinst schief.
»Man kann’s ja mal probieren.«
»Stimmt. Gegenfrage: Wie alt bist du?«
»Vierunddreißig.«
»Und in welche Lokale gehst du so? Ich mache nämlich eine Studie, wo man als intelligenter weiblicher Single nicht abhängen sollte, weil dort großkotzige Typen von Mitte dreißig mit fetten Brieftaschen lauern.«
Die Veranstaltung nimmt zunehmend surreale Formen an. Ich rechne damit, bei den nächsten
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