Naschmarkt
Es sieht aus, als hätte ihm ein Vogel dorthin …
»Das kommt darauf an«, entgegne ich und kann mir den Spott nur schwer verkneifen. »Gegen markante Nasen ist nichts einzuwenden, aber Gesichtsbehaarung ist weniger mein Fall.«
Er hört auf, über sein Bärtchen zu streichen und lächelt traurig.
»Die Zunge haben Sie von Cyrano, gnädige Frau.«
Ich fühle mich etwas unwohl in meiner Haut.
»Und, wenn ich fragen darf, was hat Sie dazu gebracht, sich
Joanne K. Rowling
zu nennen?«
Er tippt zufrieden auf sein Namensschild.
»Rein kommerzielle Überlegungen. Ich bin der Meinung, man sollte immer danach streben, sich bestmöglich zu verkaufen. Es gibt wohl niemanden auf dieser Welt, der
Harry Potter
nicht gern geschrieben hätte.«
Wusste ich es doch. Erfolgloser Schriftsteller. Die Sorte, die im
Pies & Pages
stundenlang bei einer Gratislimonade sitzt und aus dem Fenster starrt, als käme der Ruhm eines Tages als Passant vorbei oder auf einem
Nimbus-2000-
Besen dahergeflogen.
»Also sind Sie selbst Autor?«
»Nein, nein, werte Frau Cyrano. Ich schreibe lediglich auf, was mir durch den Kopf geht, bin folglich bestenfalls ein exhibitionistischer Träumer.«
»Und wovon leben Sie?«
Er schiebt die Brille mit dem Zeigefinger auf die Nasenwurzel und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Dabei lässt er die Arme jungenhaft über die Lehne baumeln.
»Ich schreibe Briefe.«
»Sie verdienen Ihr Geld mit dem Schreiben von Briefen? Ist das nicht ein aussterbendes Gewerbe?«
»Keineswegs. Gerade im digitalen Zeitalter steigt der Wert handschriftlicher Notizen. Nur fehlt den Menschen heutzutage sowohl die Zeit, die Phantasie als auch die Kunstfertigkeit, um schöne Briefe zu verfassen. Also wenden sie sich damit an mich. Ich bekomme die Eckdaten der Adressaten, das Thema und die Schlüsselwörter und mache daraus auf der gewünschten Papiersorte mit der passenden Feder Romantik. Auf diese Weise habe ich diverse Nachrichten verfasst: bewundernde, dankbare, liebevolle, witzige und schmerzliche. Als Assistent in Sachen Liebe gewissermaßen. Menschen beginnen und beenden Beziehungen gleichermaßen gern handschriftlich.«
Phantasie hat er, das muss man ihm lassen. Und etwas am Klang seiner Stimme lässt mich aufhorchen.
»Ach ja? Wie viel zahlt man denn für Ihre Dienste?«
»Die Preise werden individuell berechnet. Jetzt bin aber ich dran, sonst verfliegt unsere Gesprächszeit, und ich weiß noch immer nichts von Ihnen. Meine Frage lautet: Welche Musik hören Sie in sich drinnen, wenn es außen ganz still ist?«
»Oh, ich höre keine Musik. Nie. Wenn es still ist, höre ich Stille, was mir auch mit Abstand das liebste Geräusch ist.«
»Sind Sie sicher?«
»Vollkommen sicher.«
»Jeder hört Musik in sich.«
»Ich nicht. Ich mag keine Musik. Musik ist Lärm.«
Er sieht mir unverwandt in die Augen. Unter dem forschenden Blick werde ich nervös, schaffe es jedoch nicht, meinen abzuwenden. Schließlich lehnt er sich vor, legt seine auf meine Hand und beginnt: »Gnädige Frau …«.
Da ertönt das Bimmeln der Glocke.
Mein Gegenüber erhebt sich, bleibt aber noch kurz unentschlossen vor mir stehen. Seine Berührung hinterlässt ein Kribbeln auf meiner Haut.
»Es war interessant, mit Ihnen zu plaudern,
Cyrano de Bergerac
«, sagt er mit der Andeutung einer Verbeugung.
»Viel Erfolg,
Joanne K. Rowling
«, antworte ich.
Ein nicht unangenehmer Hauch von Rasierwasser steigt mir in die Nase. Woher …?
»Richard Strauss«, flüstert er, ehe er sich abwendet.
»Wie bitte?«
Kurz habe ich die Vermutung, dass er mir seinen Realnamen verraten hat.
»Die Musik in Ihnen. Ich tippe auf Richard Strauss. Sperrig, eigensinnig, aber mit einem bittersüßen Zuckerguss.«
Verwirrt sehe ich ihm dabei zu, wie er am Nebentisch Platz nimmt, nicht ohne mir noch einmal lächelnd zuzunicken.
»Naturrot?«
»Wie?«
Mir gegenüber hat ein höchstens zwanzigjähriger südländischer Typ vom Schlag Macho Platz genommen, ausgestattet mit dem obligatorischen Dreitagebart nebst Gelfrisur.
»Bist du naturrot oder gefärbt?«
»Ich färbe mich grundsätzlich nur von innen.«
»Wie von innen?«
»Das ist eine neue Methode der geistigen Weiterbildung.«
»Hä?«
»Man nimmt Informationen über die Sehnerven auf, und der Körper verarbeitet sie zu einer Art inwendiger Färbung.«
»Und welche Farbe hast du da drin?«
»Keine Ahnung. Ich fürchte, ohne Obduktion wird man das nie so genau sagen können.«
»Ach so. Aber deine
Weitere Kostenlose Bücher