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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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regnen begonnen, und das Pflaster der Linken Wienzeile glänzt nass. Pohl spannt seinen Regenschirm auf, reicht ihn mir und winkt anschließend routiniert ein Taxi heran. Immer noch zitternd sehe ich mich um. Vom Mann mit dem Kinnbart fehlt jede Spur.
    Liebst du schon oder lebst du noch?
     
    Naschmarkt
    Samstag, 5. November
     
    Speeddating ist die Antwort der Konsumgesellschaft auf die zunehmende Vereinsamung des modernen Facebook-Users. Fast Food fürs Herz oder ein riesiger Naschmarkt, auf dem der Dauer- beziehungsweise Teilzeitsingle anonym, unverbindlich und zeitsparend kosten kann. Fünf Minuten sind mehr als genug, um die Wirkung versprühter Pheromone zu analysieren. Einige Sätze später wird in der Liste säuberlich abgehakt oder durchgestrichen. Die dazugehörigen Gesichter hat man schon beim Begleichen der Rechnung wieder vergessen. Partnershopping zwischen Job und Feierabend, Hauptsache, man ist rechtzeitig zur neuesten Dexter-Episode daheim, um den Nachgeschmack der süßen Kuppeleien mit Odol und Blut aus Mund und Hirn zu spülen.
    Der Hit unter Datingexperten ist das Themen-Speeddating. Das ist so etwas wie das gutsortierte Fachgeschäft auf dem Datingbasar. Mittels Vorabselektion werden die paarungswilligen Probanden sorgfältig ausgewählt und in Interessensgemeinschaften unterteilt.
    Die Schlange und Du – Speeddating für Reptilienhalter
    Klick mich! – Das Nerd-Speeddating
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POE
sucht
SIE
, das literarische Speeddating im Café Drechsler.
    Es ist wie auf dem angrenzenden Naschmarkt: Beim Gemüsestand gibt es kein Baguette zu kaufen und bei der Nordsee kein Fleisch. Fisch zu Fisch, Fahrrad zu Fahrrad und Leser zu Leser.
    Erste Erkenntnis des Abends: Johann Wolfgang von Goethe ist uncool, Hermann Hesse ein großkotziger Tourist, Friedrich Schiller allergisch gegen Katzen, Thomas Bernhard ein Muttersöhnchen und Stephen King ein alter Widerling. Joanne K. Rowling ist ein Bart gewachsen, wohingegen Rosamunde Pilcher ein wenig aus der Form geraten ist. Nur für Stephenie Meyer war kein passender Vampir dabei.
    Zweite Erkenntnis des Abends: Frauen suchen immer noch nach Prinzen, Männer sind die neuen Prinzessinnen, und wer nicht bereit ist, sich ein kleines bisschen vernaschen zu lassen, der sollte lieber Langsam-Vereinzeln anstatt Schnell-Daten. Naschzeug kann man auch bequem via Asia-Takeaway bestellen: Sushi Bento und California Rolls, bis man platzt. Oder um es im Sinne von Cyrano de Bergerac zu formulieren: Denn beim letzten Maki brech ich!
     
    (follow @dottiliest bei Twitter)

Mittwoch, 9 . November
    »Bitte lächeln!«
    »Warum?«
    »Für das Fo-ho-to«, flötet die Angestellte und sieht mich erwartungsvoll an. Sie ist eine dieser sportlichen Casualfrauen, mit burschikosem Kurzhaarschnitt, S.-Oliver-Outfit und von Judo, Tai-Chi oder Ähnlichem gestähltem Körper.
    »Warum müssen Menschen auf Fotos immer lächeln?«
    Leicht überfordert kratzt sie sich am Hinterkopf und fährt sich durch die Haare.
    »Weil das netter aussieht?«
    »Im Pirelli-Kalender lächelt keiner.«
    Die Fotografin legt den Kopf schief und denkt nach.
    »Stimmt. Aber das hier ist der Schnappschuss beim Wiener Riesenrad, etwas für das Urlaubsalbum oder das Facebook-Profil.«
    Sie strahlt mich an, einen Finger auf dem Auslöser, als erwartete sie von mir sofortige begeisterte Zustimmung.
    »Es ist ein Fake!«
    »Nun ja …«
    »Lassen Sie mich rekapitulieren: Sie machen ein Foto von mir im Riesenrad, obwohl ich gar nicht wirklich im Riesenrad bin, sondern nur in einem Rahmen posiere, der wie eine Kabine aussieht. Anschließend photoshoppen Sie das Ganze, damit es so wirkt, als ob ich aus der echten Kabine winke, richtig?«
    »Geht’s endlich weiter, oder was?«, murrt ein Familienvater hinter mir, und jeder seiner drei Sprösslinge greint in einer anderen Tonart.
    »Einen Mo-me-hent«, ruft Miss Sporty in routiniert fröhlichem Tonfall und schenkt den Kindern ihr süßestes Zuckerwattelächeln. Anschließend wendet sie sich wieder mir zu. »Unsere Fotos sind sehr beliebt. Eine schöne Erinnerung.«
    »Eine Fake-Erinnerung.«
    »Wären Sie einfach so freundlich, kurz da hinüberzuschauen? Danke.« Es klickt. Sekunden später rattert der Drucker. Ich seufze und mache Platz für Daddy und die Kids. Meine schlechte Laune hat etwas mit dem Verlauf der letzten paar Tage zu

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