Naschmarkt
tun.
Fake, denke ich, alles ist nur ein Fake. Fauler Zauber. Die ganze Speeddating-Farce und
Literally in Love
sowieso. Auch Fakeküssen ist neuerdings in Mode. Beim Gedanken daran muss ich sofort tief Luft holen. Kein Wunder, dass die Menschheit sich an Fake-Fotos vom Riesenrad erfreut, wenn nicht einmal auf körperliche Intimitäten mehr Verlass ist.
Ramy ist in der Versenkung verschwunden. Männliche Maulwurftaktik. Weder eine Erklärung noch eine Entschuldigung, nicht mal ein Dankeschön dafür, dass Pohls Einschreiten ihm den perfekt gesteiften Kragen gerettet hat. Zum wiederholten Mal – und damit für meine Verhältnisse deutlich zu oft – checke ich den Posteingang meines iPhones. Nichts. Kein Anruf in Abwesenheit, keine Sprachnachricht, keine SMS. Kareemlose Funkstille. Tja, was habe ich erwartet? Und vor allem, warum ärgert es mich so?
Pohl wiederum hat mich in vorbildlicher Gentlemanmanier im Taxi nach Hause gebracht. Er ist sogar ausgestiegen, um mich zur Haustür zu begleiten, wo er mir mit väterlicher Strenge geraten hat, umgehend ins Bett zu gehen. Als ich, immer noch schwankend, meine Wohnung betrat und den halbleeren Katzenfutternapf mit der Protestkotze daneben sah, war mir sofort alles klar. Das Orakel meint: Da hilft nur Om.
Ein Leben als Singleikone ist keine Nudelsuppe. Das Wochenende habe ich in einem diffusen Zustand zwischen Halbschlaf und automatischem Funktionieren verbracht, ehe ich mich Montag mit wackeligen Beinen ins Büro schleppte. Lorenz war krankgeschrieben. Immer wenn ich an ihn dachte, hatte ich sein irritiertes Gesicht vor Augen, das ich noch gesehen hatte, bevor ich an Halloween durchs Badezimmer entwischte. Und um allem die Krone aufzusetzen, rief die Pressedame von Florian Glahnz immer wieder bei mir an, um sich zu erkundigen, ob ich an einem Exklusivinterview mit dem »Shootingstar der Wiener Literaturszene« interessiert wäre. Warum erschießt man mich nicht gleich für eine Stoffrose?
»Bitte schön, Ihr Foto«, sagt die Mitarbeiterin am Fotostand und überreicht mir das Bild, auf dem ich blass, mit zusammengekniffenen Lippen und gerunzelter Stirn aus einer knallroten Riesenradkabine Richtung Wiener Innenstadt starre. Man muss, ehe man zur Einstiegsstelle gelangt, an Miss Sportys Fotoapparat vorbei und wird – egal, ob man möchte oder nicht – abgelichtet. Ich betrachte die Fotografie, die meine Stimmungslage so perfekt widerspiegelt und schüttle den Kopf.
»Danke, aber ich verzichte darauf.«
»Keine Sorge, das Foto ist schon bezahlt.«
»Bezahlt? Von wem?«
Die Standangestellte, die eine etwas zu klein geratene Zwillingsschwester von Miss Sporty sein könnte, deutet auf den kleinen Plastikchip in meiner Hand. »Bei dieser speziellen Eintrittskarte ist das Foto bereits im Preis inbegriffen.«
»Oh.«
Ich betrachte den Chip genauer. Auf der Vorderseite ist bloß das gestanzte Wiener Riesenrad sowie die handschriftliche Nummer vierzehn zu sehen. Doch auf der Rückseite findet sich ein Schriftzug, der mir vorher nicht aufgefallen ist:
KUPPITSCHEK
Spezialservices.
»KUPPITSCHEK?
«,
frage ich. »Ist das der Name der Prater GmbH?«
Die Angestellte schüttelt den Kopf.
»KUPPITSCHEK ist lediglich eine Partnerfirma.«
Sie drückt mir zusätzlich zum Foto einen Flyer in die Hand und winkt mich Richtung Einstiegsstelle.
»Alle nötigen Informationen finden Sie hier drin. Aber jetzt müssen Sie sich aber beeilen. Ihre Kabine ist die nächste.«
»Meine Kabine?«
Ohne eine weitere Erklärung zu erhalten, gehe ich durch die Tür in den Außenbereich, wo man, inmitten der beeindruckenden Stahlkonstruktion des Riesenrades, auf den Einstieg wartet. Ein Hagelschauer mit Erinnerungen prasselt auf mich nieder. Ich habe ein so starkes Déjà-vu-Gefühl, dass ich für einen Moment keine Luft mehr bekomme und mich am Geländer festhalten muss.
Die vielen Male im Prater mit meiner Mutter. Der Geruch nach gebrannten Mandeln, Lángos und Schokofrüchten. Der Geschmack von Zuckerwatte. Die Schreie der Jugendlichen aus den wilden Hochschaubahnen. Das elektrische Surren der Krake, das Knallen der aufeinanderprallenden Autodromwagen, die Schüsse aus den Schießbuden, die knarzenden Lautsprecherstimmen der Animateure, das hohle Lachen des Geisterbahngorillas, die blinkenden bunten Lichter.
Doch die Postkarte in meinem Kopf hat einen Riss, ein hässlich beflecktes Eck, das kein Klebeband je reparieren kann: Ich war vierzehn und hatte von meiner Mutter zum
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