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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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Buchstaben mit einem Plus verbunden. Spuren von Beziehungssucht. Ein paar Kritzeleien, hastig hingeschmiert, längst veraltete Liebeserklärungen für die Ewigkeit. Dazwischen aber auch längere Texte, Zitate, wie ich sie damals gern hinterlassen habe, Bezeichnungen von Heimatländern, Heimatstädten, Fußballteams, gespickt mit den üblichen Klotürobszönitäten. Die ganze Gondel sieht wie eine Leinwand aus, bemalt mit Vergangenheit und ein bisschen Gegenwart.
    Das muss es sein: djfleming hat seine Botschaft an die Kabinenwand geschrieben! Ratlos sehe ich mich um. Wie, zum Teufel, soll ich sie inmitten all der abertausend Buchstaben identifizieren?
    Alle nötigen Informationen finden Sie hier drin,
klingt mir die Stimme der Fotostandangestellten im Ohr. Hastig greife ich nach dem Flyer der Firma KUPPITSCHEK.
     
    Herzlich willkommen bei Ihrem persönlichen Liebesbotschaftsservice!
    Jemand hat eine Nachricht für Sie hinterlassen. Um die Nachricht lesen zu können, benutzen Sie bitte die Fotografie, die Sie im Shop erhalten haben. KUPPITSCHEK
Spezialservices
freut sich, Sie an Bord des Wiener Riesenrades begrüßen zu dürfen. Wir wünschen gute Fahrt und viel Freude mit Ihrer individuellen Mitteilung. Wenn Sie Interesse daran haben, in unsere Mailingliste aufgenommen zu werden, füllen Sie das Formular auf der Rückseite aus und geben Sie es am Fotostand ab.
    Ihre Firma KUPPITSCHEK
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[email protected]
     
    Enttäuscht drehe ich den Flyer um. Das ist die ganze Information? Wie soll die mir helfen, djflemings Botschaft zu finden?
Benutzen Sie die Fotografie!
Wie kann man denn ein Fake-Foto verwenden, um eine Nachricht unter Tausenden Kritzeleien auszumachen?
    Vor zwei Jahrzehnten hatte ich andere Sorgen. Etwa zwanzig Minuten lang hockte ich zusammengekauert auf der Holzbank, die Knie zur Brust gezogen, den Kopf in den Armen vergraben. Ich malte mir die furchtbarsten Szenarien aus: Das Riesenrad hatte einen Defekt, und niemand konnte den Fehler finden. Ingenieure aus aller Herren Länder mussten eingeflogen werden, ehe man die Technik in den Griff bekam. Ich würde hier oben verhungern und verdursten.
    Oder noch schlimmer, das ganze Ding würde explodieren und in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Ich könnte meine letzten Sekunden bei vollem Bewusstsein erleben, und der Tod würde schmerzen und nach Feuer riechen.
    Und Lady Lydia! Bei dem Gedanken riss ich den Kopf hoch und starrte auf meine Schrift an der Wand. Der blaue Permanentmarker hatte eine hässliche Spur mitten im Cervantes-Zitat hinterlassen, da wo er mir abgerutscht war, und lag vergessen auf dem Boden. Ich würde meine Mutter nie wiedersehen und hatte mich nicht einmal richtig von ihr verabschiedet. Ein neuer Schwall Tränen tropfte an meinen Wangen herunter, als ich aufstand, den Marker aufhob und neben Cervantes ein blaues Herz malte, in das ich »Mummy« schrieb.
    Das Foto passt genau. Wie ein Puzzlestück fügt es sich in die Aussichtskarte über den Kabinenfenstern ein, mit dem Unterschied, dass ich selbst darauf zu sehen bin. Die Schwierigkeit besteht darin, das Teil akkurat an der richtigen Stelle des Panoramas zu plazieren. Ich überlege, wo es am besten positioniert werden könnte.
    Das Riesenrad setzt sich wieder in Bewegung. Erleichtert blicke ich aus dem Fenster zum Boden hinunter, wo die Welt zwar winzig, aber real ist. Genug Déjà-vu für heute.
    Ich sollte mich beeilen, denn mir bleiben höchstens noch zehn Minuten, bevor meine Fahrt zu Ende sein wird. Rasch hebe ich das Foto und vergleiche es mit dem Panorama über mir. Neben dem Gasometer liegt es ebenso falsch wie neben dem Zentralfriedhof. Auch zur Herz-Jesu-Kirche und zur Fernmeldezentrale passt es nicht. Doch ein Stück daneben werde ich fündig. Mein nicht lächelnder Blick ist auf ein Gebäude gerichtet, dessen Kuppel ich eigentlich sofort hätte erkennen können: die Karlskirche. Ich untersuche die Schriftzeichen, die sich genau oberhalb dieses Wahrzeichens befinden, am Übergang zwischen Kabinenwand und Kabinendach.
    »Tschennie & Hydie waren hier«, ist in dicken, schwarzen Filzstiftbuchstaben vermerkt, darunter ein paar zittrige Kugelschreiberherzen und kaum mehr entzifferbare Namen. Doch mein Puls beginnt, richtig schnell zu schlagen, als ich ein Stück unter Tschennie und Hydie ganz blasse Spuren eines ehemals blauen Herzes entdecke. »Mummy.« Wenn man es weiß, kann man die schwungvollen Kinderlinien noch erkennen. Ich streiche mit zitternder Hand

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