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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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Geburtstag eine Handvoll Eintrittskarten für das Riesenrad geschenkt bekommen. Immer freitags nach der Schule fuhr ich in den Prater, um eine davon einzulösen.
    Der Tag, als ich zum letzten Mal in eine Kabine stieg, war ein ebenso grauer, nebliger Herbsttag wie heute. Ich fror in meiner zu dünnen Jeansjacke und hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, während ich die Stufen zur Einstiegsstelle erklomm.
    »Bitte, Sie können zusteigen«, sagt der Riesenradangestellte und macht eine einladende Geste. Die Nummer an der roten Kabinenwand leuchtet strahlend weiß:
vierzehn.
Mir läuft es kalt den Rücken runter. Das ist kein Zufall, so viel steht fest. Jetzt, nur wenige Meter vom Einstieg entfernt, gelingt es mir nicht mehr, das Gefühl von Panik zu unterdrücken. Es ist bloß eine Fahrt mit dem Riesenrad, eine Runde, zwanzig Minuten, das ist alles, versuche ich mich zu beruhigen. Einfach einen Fuß vor den anderen. Ich bin eine erwachsene Frau über dreißig, ich benutze Flugzeuge, Schiffe, Pkws und fürchte mich weder vor Monstern in Kleiderschränken noch vor dem schwarzen Mann. Also vorwärts.
    Ich lasse das Geländer los, betrete zögernd die Kabine und atme tief durch. Es riecht vertraut und fremd zugleich, nach altem Holz, nicht mehr frischem Lack sowie dem Atem und Schweiß unzähliger Menschen. Wie damals bin ich allein. Der hohe Fahrpreis hält die meisten davon ab, an Tagen ohne Sonnenschein mit dem Wahrzeichen der Bundeshauptstadt zu fahren. Schließlich will man für sein Geld auch was geboten bekommen. Der Familienvater mit den schreienden Söhnen scheint noch mit dem Kauf der FakeFotos beschäftigt zu sein, was ich kurz bedauere. Quakende Kinderstimmen hätten der Situation das Bedrohliche genommen und das mulmige Gefühl vertrieben. Die Kabinentüren schließen sich quietschend, und mein Herz beginnt augenblicklich zu rasen. Kein Zurück mehr.
    Warum hat djfleming mich ausgerechnet hierhergeschickt? Woher weiß er davon?
    Ich sehe mich um. Die Kabine ist leer und sauber. In der Mitte befindet sich eine Holzsitzbank. Rundum an den Fenstern ist ein Geländer angebracht, und darüber hängt eine beschriftete Übersichtskarte, damit die Touristen sich informieren können, welche Sehenswürdigkeiten später auf ihren Fotos verewigt sind.
    An Tagen wie heute, wo alles in einer dicken Nebelsuppe versinkt, ist die Karte freilich nutzlos. Vermutlich bin ich also nicht wegen der Aussicht hier. Irgendwo in Kabine vierzehn muss es eine weitere Botschaft meines Online-Verehrers geben, die Frage ist: Wo?
    Vierzehn. Das Riesenrad. Damals. Während die Kabine sich in sehr gemächlichem Tempo nach oben bewegte, begann ich mein übliches Ritual. Ich stellte die Schultasche auf die Bank, holte mein Federmäppchen heraus und wählte eine Farbe. Diesmal dunkelblau, zum Herbsttag passend. Danach tanzte ich von Fenster zu Fenster, um eine Stelle auszusuchen. Hatte ich mich für die richtige entschieden, galt es noch, das geeignete Zitat zu finden. Je nachdem, was wir in der Schule gerade durchnahmen oder für welchen literarischen Helden mein Herz im Moment schlug. Ich weiß, dass ich langsam und in schöner Schrift Cervantes Worte aus
Don Quijote
genau über das mittlere Fenster schrieb, als es plötzlich einen Ruck machte.
»Wer viel liest und viel reist, sieht vieles und erfährt vie…«
So weit kam ich, dann rutschte meine Hand ab. Die Kabine hatte den höchsten Punkt erreicht. Unter mir deckte sich Wien mit Nebel zu, so dass der Boden kaum mehr zu erahnen war. Ängstlich hockte ich mich auf die Bank, schloss die Augen und wartete. Ich zählte bis hundert, bis zweihundertfünfzig, bis fünfhundert. Nichts bewegte sich. Dann kamen die Tränen.
    Ein sanfter Ruck, und das Riesenrad stoppt. Ich war so tief in der Erinnerung versunken, dass ich für einen kurzen Moment glaube, wieder vierzehn zu sein. Kopfkino wie ein 3 D- IMAX -Film, so real, so nah und vor allem so schrecklich hartnäckig. Mir ist schwindelig, mein Fuß beginnt, wieder ein wenig zu schmerzen, und ich muss mich auf die Bank setzen. Fast hätte ich eine imaginäre Schultasche zur Seite geschoben. Was soll das? Warum bin ich hier? Und warum stoppt das verdammte Rad, als führte irgendjemand Regie nach meinem eigenen Drehbuch? Das ist unheimlich!
    Mein Blick fällt auf die vielen Botschaften an den Kabinenwänden. Generationen von Touristen haben sich so verewigt und ein Stück von sich zurückgelassen. Meist ein Herz mit zwei Namen darin oder

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