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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Koschka
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glaube nicht an Prinzen.«
    »Das ist schade. Sie hätten die Veranlagung zur Prinzessin.«
    »Ist das Ihre Version von Charme?«
    Joanne K. Rowling
schaut mir forschend in die Augen, nimmt seine Nerd-Brille und putzt sie mit einem Hemdzipfel. Ohne das verunstaltende Gestell sieht sein Gesicht eigentlich ziemlich attraktiv aus, auch wenn der Kinnbart immer noch enorm hässlich ist. Die blauen, weit auseinanderstehenden Augen leuchten irgendwie, und seine jungenhaften Bewegungen lassen ihn jünger wirken. Wie alt kann er sein? Ende dreißig? Anfang vierzig?
    »Ich glaube nicht an Charme, gnädige Frau«, sagt er lächelnd. »Aber ich wollte Sie fragen …«
    In dem Moment geraten die Dinge außer Kontrolle. Ramy eilt mit panischem Gesichtsausdruck auf mich zu, verfolgt von einer aufgelösten Annette Hofbauer sowie mehreren weiblichen Speeddating-Teilnehmern. Außerdem drängt sich ein fluchender
Stephen King
durch die Menge. Die Damen rufen wild durcheinander, alle etwas in Richtung »Das geht nicht mit rechten Dingen zu!« oder »Schiebung!«.
    Ramy macht sich nicht die Mühe, mir irgendetwas zu erklären. Schwer atmend bleibt er vor mir stehen, zieht mein Gesicht zu seinem und küsst mich. Ich versuche gleichzeitig, ihn von mir wegzuschieben und das Gleichgewicht zu halten. Eine Art Nebel breitet sich in meinem Hirn aus. Das Blut schießt mir in Wangen und Lippen, und irgendwelche feinen Nervenstränge vibrieren, so dass mein Herz nicht anders kann, als wild um sich zu schlagen. Herrgott, was ist das? Und warum halte ich ihn fest, anstatt wegzurennen? Als sich unsere Lippen nach gefühlten Stunden voneinander lösen, sehen wir uns irritiert an.
    »Ich weiß, wer das ist«, brüllt just in dem Augenblick
Rosamunde Pilcher.
    »Das ist die Frau mit dem Mauerblümchen-Blog«, fügt eine aufgebrachte
Charlotte Roche
hinzu.
    Wütendes bis zustimmendes Gemurmel von den anderen Teilnehmerinnen.
    »Die meint es doch nicht ernst.«
    »Die benutzt ihn nur.«
    »Die verarscht uns alle.«
    »Also, Moment mal«, werfe ich ein, komme allerdings in meiner Verteidigung nicht weiter, weil der Mob schimpfend über mich herfällt. Ich werde geschubst, und an mir wird gezogen. Hilfesuchend blicke ich mich nach
Joanne K. Rowling
um, aber von ihm ist keine Spur mehr zu sehen. Kurz bilde ich mir ein, jemanden mit blondem Kinnbart auf der Straße draußen zu erspähen, und versuche, mich Richtung Kaffeehaustür vorzuarbeiten, doch die Meute rückt nur noch dichter zusammen. Ramy ist keine Hilfe, er klammert sich an meinen Arm und weicht Schritt für Schritt zurück. Von seinem perfekten Auftreten ist nichts mehr übrig, stattdessen wirkt er verschreckt und aufgelöst wie ein unvorbereiteter Student beim Examen. Sogar das ewig breite Ken-Grinsen ist ihm abhandengekommen. Verfluchte Scheiße!
    Wir sind mittlerweile bei den Fensternischen angekommen. Kein weiteres Zurückweichen möglich. Gerade, als ich glaube, demnächst gelyncht zu werden oder samt Ramy dem Vernaschungskomitee zum Opfer zu fallen, passiert ein Wunder.
    »So, meine Damen, Ende der Veranstaltung. Machen Sie bitte sofort Platz, sonst muss ich die Polizei rufen!«
    Die Stimme eines Mannes erklingt genau neben mir, eine Stimme, deren Autorität sich niemand entziehen kann. Innerhalb weniger Sekunden hat sich der Mob aufgelöst, und die Frauen räumen, von Annette Hofbauer erneut wie die Hühner verscheucht, das Feld. Ramy nutzt die Gunst der Stunde und verlässt, eilig und ohne sich zu verabschieden, das Café Drechsler.
    Ich sehe ihm kopfschüttelnd nach, schließe dann die Augen und atme tief durch. Was für ein Alptraum. Nach einigen Momenten wende ich mich zu dem Mann, der neben mir steht und mich besorgt mustert.
    »Alles in Ordnung?«
    Alfons Pohl faltet den
Österreichboten,
hinter dem er sich die ganze Zeit in der Fensternische versteckt hat, zusammen und klemmt ihn sich unter die Achsel. Ich nicke schwach. Auf einmal greift die Anspannung der letzten zwei Stunden auf meine Beine über, und ich stehe mit zitternden Knien neben meinem Chef. Er betrachtet mich über den Rand seiner Lesebrille, lächelt und breitet die Arme aus. Bevor ich es verhindern kann, sinkt eine ungewohnt kleinlaute, hilflose Dotti in seine starken Arme. Er streichelt mir etwas steif über Haare und Rücken.
    »Es tut mir leid. Ich hätte Sie nicht zu dieser Veranstaltung drängen sollen. Kommen Sie.«
    Wie ein kleines Mädchen lasse ich mich von Pohl aus dem Café Drechsler führen. Es hat zu

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