Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
sich nur mit der Kraft der Beine und des unversehrten Arms daran hinauf. Bald war die Handfläche wund gescheuert, doch sie kletterte weiter. Das neue Kloster war etwas unterhalb des alten errichtet worden, und dahin wollte sie fliehen. Neben den Rollen war ein schmaler Raum. Genau dort hatte Talitha bei ihrer Flucht aus dem Kloster gegen die Kombattantin gekämpft und Schwester P elei ihr Leben verloren. Kora zwängte sich hinein und kauerte sich in einer geschützten Ecke auf den Boden, zog die Knie an und schlang die Arme um die Beine. Es war ein gutes Versteck, zwischen den vom Feuer eingeschwärzten Trümmern des alten Klosters. Mit ein wenig Glück würde sie unentdeckt bleiben. Am nächsten Morgen, wenn der Aufzug wieder in Betrieb gesetzt wurde, würde sie sich nach Messe hinunter bringen lassen. Und von dort … Sie wusste nicht, wie es weitergehen würde, aber ihre Flucht hatte gerade erst begonnen.
Wieder kamen ihr die Tränen, und sie ließ sie leise weinend laufen und wiegte dabei den verletzten Arm.
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D ie Stadt hieß Letora und lag an der Grenze zum Reich des Herbstes. Einige Zeit zuvor war sie eingenommen worden, aber die talaritischen Bewohner waren in das nahe Kloster geflüchtet. An dessen Eroberung würde sich nun Talithas Rebelleneinheit beteiligen. Gerüchte besagten, dass dort zahlreiche Sklaven getötet worden waren, sodass man wahrscheinlich nur noch wenige befreien konnte. Das Angriffsziel war daher strategisch eher von geringer Bedeutung. Es ging mehr um das Befriedigen von Rachegelüsten und die symbolische Bedeutung einer Klostereroberung für die Moral der Aufständischen. Das Reich des Winters war mittlerweile fast ganz in ihrer Hand, besonders der Norden, wo die Eisproduktion zum Erliegen gekommen war. Wegen des allgemeinen Temperaturanstiegs war es vor allem der Süden, der dies zu spüren bekam, da sein steigender Bedarf an Eis zum Transport und zur Konservierung von Lebensmitteln nicht mehr gedeckt werden konnte. Dieser Teil des Herrschaftsgebietes, nahe der Grenze zum Reich des Herbstes, war aber noch fest in talaritischer Hand. Und dies war vor allem Graf Megassa zu verdanken. Nach der Eroberung von Letora nun auch noch das Kloster zu zerstören würde allen zeigen, dass sich die Femtiten von nichts und niemandem mehr aufhalten lassen würden.
In den Tagen vor dem Angriff hörte Talitha die Leute immer wieder von ihrem Vater reden. Wie es aussah, hatte er sich zur Seele des talaritischen Widerstands entwickelt. Überall, wo es brannte, war er mit seinen Männern, und wo seine Truppen eingriffen, war die Niederlage der Femtiten fast gewiss. Dies war eine neue Seite seines Wesens, die Talitha bisher noch nicht kennengelernt hatte. Für sie war er immer nur ein berechnender, prinzipienloser Machtmensch gewesen, der durch Bestechungen und Intrigen seine Ziele erreichte. Sie hätte nicht gedacht, dass ein so fähiger Feldherr in ihm steckte. In den Kampf um Letora würde er aber höchstwahrscheinlich nicht eingreifen, da er durch eine große Schlacht im Süden gebunden war. Talitha bedauerte das. Sie konnte es kaum erwarten, ihm auf dem Schlachtfeld entgegenzutreten.
Bei den Lagebesprechungen zur Planung des Angriffs lernte sie einige Femtiten kennen, die in Klöstern gedient hatten. Einer kam geradewegs aus dem von Letora, und für seine Auskünfte war man bei der Ausarbeitung des Schlachtplans sehr dankbar. Talitha bemühte sich, ihr Bestes zu geben, zeichnete Karten und erläuterte, wie der Tagesablauf der Priesterinnen aussah und gab alle Geheimnisse preis, an die sie sich von ihrem eigenen Klosteraufenthalt noch erinnerte.
Das Kloster, das sie stürmen wollten, war ein Männerkloster und dem Gott Man geweiht. Doch selbst wenn sich die Gewohnheiten der Priester von denen in einem Frauenkloster unterschieden, würden sich ihre Kenntnisse zweifellos als nützlich erweisen. Die Eroberung eines Klosters war für Talitha ein gerechtes Unterfangen, das all ihre moralischen Skrupel hinweggefegte. In diesen Mauern war niemand unschuldig: Zum einen hielten die Priester sich Femtiten als Sklaven und rechtfertigten dies mit ihren abstrusen religiösen Ideen, zum anderen knechteten sie auch das einfache talaritische Volk, indem sie ihm die Wahrheit über die Vorgänge am Himmel um Miraval und Cetus, vorenthielten und sich seine Furcht vor der Göttern zunutze machten, um es zu unterjochen.
Auf dem Weg nach Letora begleitete die Rebellen ein ungewöhnlich mildes Klima. Alle empfanden es
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