Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
als angenehm und genossen diesen unerwarteten Frühling. Nur Talitha nicht. Für sie hatte die freundliche Berührung der Sonnenstrahlen nichts Wohltuendes. Es war unnatürlich, in diesen Regionen durfte es eigentlich nicht so warm sein.
Du hast deine Entscheidung getroffen, du bist bei den Rebellen, nun konzentrier dich auch auf den Kampf , sagte sie sich. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Seit einiger Zeit berührte sie immer mal wieder den Stein, der ihrer Schwester gehört hatte und den sie stets in der Tasche hatte. Sobald ihre Finger darüberstrichen, blickte sie unwillkürlich zu den beiden Sonnen hinauf.
Als sie eintrafen, spannte sich über Letora ein klarer blauer Himmel. Der Schnee war, bis auf einige vereinzelte schmutzige Haufen hier und dort, geschmolzen. Die unteren Äste des Talareths, der der Stadt Schutz bot, sahen vertrocknet aus. Die nadelförmigen Blätter hingen zwar noch an den Zweigen, waren aber welk und braun, wie abgestorben durch einen Zauber, der ihnen nicht einmal Zeit gelassen hatte, zu Boden zu fallen.
Am Stadtrand konnte man noch die Massengräber sehen, in die man die Leichen der getöteten Talariten geworfen hatte, und die geschwärzten Mauern der Häuser zeugten noch von den Gefechten. Das Kloster lag in vierhundert Ellen Höhe und klammerte sich wie ein Pilz an den Stamm des Talareths. Von dort oben schossen Priesterkombattanten ununterbrochen Pfeile und warfen Steine. Der letzte Teil der Treppe war abgerissen worden, um den Rebellen den Zugang zu verwehren, der Rest aber war intakt bis fast zum Kloster. Zwei Wochen dauerte die Belagerung schon, und die Kräfte der Talariten mussten bald erschöpft sein. Da es geregnet hatte, verfügten sie über ausreichend Wasser, Lebensmittel aber waren mit Sicherheit knapp: Wie die Kundschafter berichteten, war das Kloster überfüllt, sodass die Speisekammern, mochten sie zuvor noch so üppig gefüllt gewesen sein, mittlerweile fast lee r waren.
Am Abend vor dem Angriff feierten die Belagerer ein ausgelassenes Fest. Dies war Teil ihres Planes. Die Talariten sollten sehen, dass die Femtiten den Tod nicht fürchteten und sich ihres Sieges sicher genug waren, um sich auch vor der Schlacht singend, trinkend und tanzend vergnügen zu können. Talitha hielt sich von dem Trubel fern. Bereits zu feiern, bevor der Sieg errungen war, war für sie ein schlechtes Omen.
An diesem Abend verspürte sie eine Angst, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sie konnte es kaum erwarten, endlich wieder zum Schwert zu greifen und sich, so wie bei dem Kampf um die Minen, im Schlachtgetümmel zu vergessen. Gleichzeitig sorgte sie sich, wie sie sich im Angesicht der Feinde fühlen würde: Was, wenn sie nicht zu der Entschlossenheit von früher zurückfand? Wenn die Geschehnisse in Oltero mit all den unschuldigen zivilen Opfern ihre Kampfeslust für immer geschwächt hatten? Was sollte dann aus ihr werden? Die Stimmen der feiernden Femtiten drangen gedämpft aus einiger Entfernung zu ihr, so als hätten sie mit ihrem Leben nichts zu tun.
Im Morgengrauen begann die Schlacht. Auf dem Rücken ihrer Drachen griffen die Femtiten direkt an, von oben, um an den Gegner hoch im Kloster heranzukommen. Mit einem solchen Manöver waren die Rebellen zuvor mehrmals gescheitert, weil die Feinde mit ihren Lanzen und Pfeilen die Tiere immer fernhalten konnten. Dieses Mal jedoch glückte es einem kleinen Trupp Rebellen, auf der Klosterplattform zu landen, indem sie so nahe wie möglich heranflogen und im letzten Moment von den Drachen hinuntersprangen. Sofort entbrannte ein heftiger Kampf, während von unten die Gefährten Feuerpfeile hinaufschossen.
Zusammen mit Melkise und einer Schar von rund zwanzig Kriegern hatte sich Talitha lange vor Tagesanbruch auf den Weg gemacht. In vollkommener Stille hatte das Grüppchen den Fuß des Talareths erreicht und den Stamm bis zu der Stelle umrundet, wo die Lastenaufzüge den Boden erreichten. Mit ihrem Schwert hatte Talitha die Tür aufgebrochen und war in den Schacht eingedrungen. Die Rollen, über die die Seile liefen, waren von den Belagerten oben blockiert worden: Ihr Plan sah vor, während ihre Kameraden die Kombattanten ablenkten, durch den Schacht hinaufzuklettern und die Rollen zu lösen, damit eine größere Zahl von Rebellen zum Kloster hinaufbefördert werden konnte. Dafür würde Talitha Magie einsetzen müssen. So kletterten sie die Strickleiter hinauf, die von den Sklaven für Wartungsarbeiten im Schacht
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