Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
angelegt. Die letzte führte in ihre Zelle.
Sie trat ein, setzte sich an ihren Schreibtisch und schlug ein schweres, in Leder gebundenes Buch auf. Wenn die Anspannung zu stark wurde, versuchte sie immer, sich mit Lesen und Schreiben von den belastenden Gedanken abzulenken. Und wenn an Schlaf nicht zu denken war, ließen sich die langen Nachtstunden auf diese Weise nutzen. Sie hatte sich vorgenommen, eine umfassende Geschichte des Klosters Messe zu verfassen: Als sie der Kleinen Mutter ihren Plan erläuterte, war diese geradezu begeistert davon gewesen, sie hatte sie allerdings auch ermahnt, sich nur in ihrer Freizeit den Forschungen zu widmen und darüber ihre täglichen Pflichten als Novizin nicht zu vernachlässigen.
Als es an der Tür klopfte, schrak sie auf. Ein Blick auf die Kerze verriet ihr, dass einige Stunden verronnen waren, seit sie mit dem Schreiben begonnen hatte. Sie öffnete. Auf der Schwelle stand eine junge Sklavin.
»Was ist denn?«, fragte sie, überrascht von dem ungewöhnlichen nächtlichen Besuch.
»Verzeiht die späte Störung, Herrin, aber ich mache mir Sorgen, und ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll«, antwortete die Sklavin und rang die Hände.
»Dann erzähl mal«, sagte Kora.
»Es handelt sich um Eure Dienerin, Galja. Ich weiß, wie viel Euch an ihr liegt, und …«
Kora überkam eine düstere Vorahnung. »Ist ihr etwas zugestoßen?«
»Nein, Herrin, das glaube ich nicht. Aber ich habe beobachtet, wie sie eilig den Schlafsaal verlassen hat und in Richtung Tempel gelaufen ist. Ich weiß nicht, was sie dort wollte, aber in Kürze beginnt die Sperrstunde und …«
»Ja, ich weiß, was mit ihr geschieht, wenn man sie außerh alb des Schlafsaals aufgreift«, sagte Kora. Man würde sie ein sperren und mit dem Strafstock prügeln. In ihrem Alter würde sie das jedoch nicht überleben. »Und du weißt nicht, warum sie zum Tempel gelaufen ist?«
»Nein, Herrin, aber sie kam mir sehr nervös vor.«
Einige Augenblicke verharrte Kora reglos auf der Schwelle und biss sich auf die Lippen. »Komm mit und zeig mir, wo sie hin ist«, sagte sie schließlich.
Sie traten hinaus auf die Plattform, auf der sich das Kloster erhob: Sie war verlassen. Wer als Sklave noch eine Aufgabe zu Ende führen musste, durfte sich zu dieser Stunde noch draußen aufhalten, und auch die Priesterinnen hatten noch freien Ausgang, doch es war niemand unterwegs. An den verschiedenen Klostergebäuden entlangeilend, trafen Kora und die Femtitin nur auf wachhabende Kombattantinnen, die sie mit undurchdringlicher Miene musterten.
Als sie beim Tempel eintrafen, war das Portal verschlossen, da alle Abendandachten beendet waren. Von Galja keine Spur. Was hätte sie zu dieser Stunde auch im Tempel zu suchen gehabt? Kora blickte sich um und bemerkte eine offene Seitentür. Gerade diese Tür hätte eigentlich verschlossen sein müssen, weil sie zu den Privaträumen der Kleinen Mutter führte. Der Riegel, der sie sichern sollte, war aufgebrochen. Beklemmung schnürte Kora die Kehle zu. Dennoch zog sie leise die Tür auf. Das Licht der beiden Monde erhellte einige Stufen, die nach oben führten. Kurz entschlossen stieg sie hinauf. Hinter dem oberen Treppenabsatz lag eine weitere Tür, die einen Spalt geöffnet war. Sie stieß sie auf. Ein langes Quietschen, und schon war sie drinnen. Sie stand in den Gemächern der Kleinen Mutter, wo sie zuvor nur wenige Male gewesen war, und das auch nur im Beisein anderer Novizinnen. Der erste Raum war ein kleines Arbeitszimmer. An den Wänden standen volle Bücherregale, an einer Seite lag ein großes Fenster, durch das bei Tag viel Licht auf einen schmalen Schreibtisch fiel, auf dem Bücher und Pergamentrollen durcheinanderlagen. Dahinter ein Stuhl mit samtbezogener roter Sitzfläche. Die Fensterflügel standen weit offen, nicht ungewöhnlich für einen solch schwülen Abend, und der Vorhang blähte sich ein wenig im schwachen Luftzug. Die Wand hinter dem Schreibtisch wies eine weitere Tür auf, die aber verschlossen war. Kora wusste, dass sie zum Schlafgemach führte.
Bemüht, keinen Laut zu machen, trat sie näher. Bleischwer kamen ihr die Füße vor, und sie hörte nur noch das Rauschen des Blutes in den Ohren. In der Aufregung hatte sie nicht gemerkt, dass ihr die junge Sklavin nicht mehr folgte. Sie klopfte an. »Eminenz?«, murmelte sie. Von innen drang kein Laut. Noch einmal klopfte sie und trat dann ein. Die Zelle der Kleinen Mutter war mindestens zehnmal so groß wie ihre
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